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Kultur: Ein Leben lang die „Winterreise“

Der Bariton Matthias Goerne singt Schuberts Liederzyklus im Nikolaisaal

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Der Bariton Matthias Goerne singt Schuberts Liederzyklus im Nikolaisaal Er zählt zu den großen Liedsängern unserer Zeit. Zwischen Salzburg, Tokio, London und New York ist Matthias Goerne gefragt. Morgen gastiert der Bariton aus Weimar mit seinem langjährigen Klavierpartner Eric Schneider im Nikolaisaal. Auf dem Programm steht Franz Schuberts „Winterreise“. Ist es wahr, dass Sie die „Winterreise“" schon mit acht Jahren gesungen haben? Naja, aber nur im heimischen Wohnzimmer. Meine Eltern legten ständig Platten mit klassischer Musik auf. Wir haben sehr oft die „Winterreise“ mit Peter Anders und Michael Raucheisen gehört. Der Zyklus begleitet Sie also durchs ganze Leben. Ja, wenn man ihn einmal entdeckt hat, bleibt er immer zentral. Auf der Bühne singe ich ihn aber erst seit sieben Jahren. Das hat etwas mit Lebenserfahrung zu tun. Man muss sich lange damit beschäftigen, die Lieder auch immer wieder weglegen können. Hat sich Ihre Sicht auf den Zyklus mit der Zeit verändert? Sie ist vielleicht raffinierter und feiner geworden. Es geht darum, bestimmte Nuancen und Schattierungen stärker herauszuarbeiten. Der grundsätzliche Rahmen ist aber vorgegeben. Den kann man klar erkennen, wenn man sich intensiv mit dem Werk beschäftigt. Was ich gar nicht akzeptiere - bei mir und auch bei anderen - ist die Idee, dass sich mit dem Älterwerden die Sicht auf die Dinge so sehr wandelt, dass schnelle Passagen auf einmal langsam klingen und umgekehrt. Da würde ich sagen: Eines von beidem ist richtig, und eines ist falsch. Welche Rolle spielen die Klavierpartner? Singen Sie anders, wenn Sie die „Winterreise“ mit Alfred Brendel aufführen, als wenn wie morgen Eric Schneider spielt? Schon, es sind zwei vollkommen unterschiedliche Menschen und Künstler. Schneider ist in erster Linie Liedpianist, und Brendel ein großer Solopianist. Da kommen ganz verschiedene Stärken und interpretatorische Ansätze zum Vorschein. Der Solist zielt viel mehr auf pianistische Strukturen und größere Bögen als der Liedpianist. Die solistische Sichtweise erzeugt eine Reibung, die man künstlerisch gut nutzen kann. Ich möchte weder die eine noch die andere Erfahrung missen. Die wechselnden Partner bei der „Winterreise“ sind für mich ganz wichtig - auch, um nicht in Routine zu verfallen. Im Oktober haben Sie den Zyklus mit Alfred Brendel in London aufgeführt und eingespielt. Demnächst gehen Sie mit dem Werk und Eric Schneider auf Japan-Tournee. Wie reagiert das Publikum in Tokio, London oder Madrid auf deutschsprachige Lieder? Bei ganz herausragenden Werken wie diesem Schubert-Zyklus gibt es keine Sprachbarrieren. Auch in Sevilla wirkt er nicht etwa exotisch, fremd und unverständlich. Überall auf der Welt gibt es ein aufgeklärtes Publikum, kultivierte und gebildete Menschen, die das Wesen dieser Musik bereits begriffen haben. Ich finde das ausländische Publikum meist sogar besser, emotionaler und hingebungsvoller als das deutsche. Sie haben sich ein breites Repertoire zwischen Alter und Neuer Musik erarbeitet. Steht das romantische Lied für Sie noch im Zentrum des Repertoires? Diese Lieder sind für mich der Ursprung, die Basis, da komme ich her. Aber ich habe dass Terrain doch gewaltig in andere Richtungen erweitert, Wagner-Opern, Brahms und Mahler gesungen. Die spätromantische Phase ist noch viel mehr die meinige als die frühromantische mit Schubert. Sie haben in den letzten Jahren als Papageno, Wozzeck und Wolfram erfolgreiche Operndebuts gegeben. Ist Ihr Interesse an der Oper gewachsen? Die stimmlichen Möglichkeiten sind gewachsen. Das Opernrepertoire, das mich interessiert, konnte ich wegen der fehlenden stimmlichen Reife früher nicht singen. Mich reizen die existenzialistischen, ganz individuellen Figuren wie der Wozzeck. Dahin muss man die Stimme aber erst einmal entwickeln, und das habe ich mit dem Konzertrepertoire getan. Ich wollte nicht wie viele andere die ganzen Mozart-Partien rauf- und runtersingen, nur den Papageno. Um die anderen Rollen habe ich eher einen Bogen gemacht. Bei den Salzburger Festspielen haben Sie in diesem Jahr die Hauptrolle bei der Uraufführung von Hans Werner Henzes neuer Oper „L''Upupa oder der Triumph der Sohnesliebe“" übernommen. War das eine besondere Erfahrung? Unbedingt. Henze hat die Partie für mich geschrieben. Das ist eine besondere Ehre, schließlich ist er eine große Erscheinung am Komponistenhimmel und hat die Musik der letzten Jahrzehnte wesentlich geprägt. 1992 habe ich mit seinem „Prinz von Homburg“ mein Operndebut gegeben. Danach ist der Kontakt nie abgerissen. In welche Richtung entwickeln Sie Ihr Repertoire? Studieren Sie zurzeit etwas Neues? Das richtet sich nach der stimmlichen Entwicklung, aber immer auch nach dem Jubiläumskalender. 2005 hat Karl Amadeus Hartmann Geburtstag, deshalb sehe ich mir gerade seine Gesangsszenen an. Zum Schostakowitsch-Jahr 2006 möchte ich vielleicht die Michelangelo-Sonette singen. Und was machen Sie, wenn Sie nicht singen? Dann genieße ich die Tage zu Hause bei meiner Familie, koche viel und halte Kontakt zu meinen Freunden. Das kommt im Moment allerdings sehr kurz. Die Jahre, in denen ich so viel Energie habe wie jetzt, muss ich doch fürs Singen nutzen. Das Gespräch führte Sonja Lenz Innerhalb der Vocalwoche „Vocalise 2003“: „Die Winterreise“ von Franz Schubert am 29. November um 20 Uhr im Nikolaisaal.

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