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Kultur: Ein Malerleben in Brüchen

Retrospektive zum 60. Geburtstag: Ausstellung im Alten Rathaus erinnert an Stefan Eisermann

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Retrospektive zum 60. Geburtstag: Ausstellung im Alten Rathaus erinnert an Stefan Eisermann Von Götz J. Pfeiffer 60-55-24. Dies beschreibt Stefan Eisermann. Über 24 Jahre drückte er seine Gefühle, Träume und Befindlichkeiten in Malerei aus. Nur 55 Jahre zählte er bei seinem Tod am 12. Oktober 1998. Zu seinem 60. Geburtstag in diesem Jahr wird sein malerisches Wirken mit einer Retrospektive geehrt. Zuerst waren rund 70 seiner Arbeiten in der Kunsthalle Rostock zu sehen, in der Stadt, in der Eisermann in den 70er und 80er Jahren lebte und wo er 1974 mit dem Malen begann. Nun sind die Bilder für knapp drei Monate im Alten Rathaus zu sehen. In Potsdam lebte, malte und starb der autodidaktische Maler. Schon ein erster Gang durch die Ausstellung führt eine Besonderheit der Arbeiten Eisermanns vor Augen. Sie sind nicht für ein Museum, nicht für eine breite Öffentlichkeit gemalt. Sie kamen aus dem Privaten seines Erlebens und Empfindens. Ihre kleinen Formate waren für private Räume bestimmt. An den meterhohen Wänden der unteren Etage im Alten Rathaus wirkt jedes etwas einsam. Zudem verliert man in der sparsamen mit Titel und Jahr kommentierenden Beschilderung leicht den Überblick. Oder ist es Absicht, die Malerei Eisermanns als ungeschiedene Vielheit eines künstlerischen Ausdrucks vor Augen zu stellen? Wer neu an diese Bilder herantritt, wird von der Vielfalt der Themen und Malweisen überrascht und beeindruckt. Naiv, fast kindlich sind Thema, Blickwinkel und Malweise bei einem der frühen Bilder. „Im Zoo“ von 1978 geht der Blick aus der Vogelperspektive über Gehege mit Tieren und auf Menschen, die über einen Weg spazieren. Kein Objekt hat Tiefe, Schatten fehlen, bunt sind die Farben, heiter ist die Stimmung. So teilt sich atmosphärisch etwas von der kindlichen Freude mit, die Eisermann bei einem Besuch im Tierpark empfunden haben mag. Noch träumerischer seine visionierte „Landschaft mit Schimmel“ von 1980. Wieder beweist sich an der scherenschnittartigen Präsentation von Pferd, Bäumen und Bergen, dass Eisermann die Eroberung des Bildraumes noch nicht gelungen ist. Wie Theaterkulissen schiebt er seine Figuren über das weite, leere Feld. Doch schon wenig später hatte er dies erreicht, wie das kleine Querformat „Eine Kunstausstellung“ von 1983 zeigt. Der Blick durch die Zimmerflucht hilft Tiefe im Bildraum zu schaffen. Die helleren Wände links, ihre Verschattung weiter rechts lassen Fenster vermuten, dehnen den Raum in die Breite. Und unauffällig, aber wirksam ragen einige Äste als Repoussoir rechts in den Vordergrund, lenken den Blick in das Bild, das langjährige Malpraxis und Sicherheit des Pinsels verrät. Ob pastos aufgetragen wie bei der düsteren „Salome“ von 1987 oder gespachtelt in der schönen „Begegnung“ von 1985, mit dem Bildraum entdeckte und eroberte Eisermann sich auch die Ölmalerei, erreichte thematisch wie maltechnisch in dieser zweiten Werkphase eigenständige Ergebnisse. Doch wie schon die anfängliche, träumerisch-naive Malerei, die an Art Brut erinnert, gingen auch die Erfahrungen von Bildraum und Ölmalerei verloren und in der nächsten Stufe auf. Schon Ende der 80er Jahre strebte Eisermann wieder in die Bildfläche. Die kleine Zeichnung „Christus“ von 1988 legt davon farbig-beredtes Zeugnis ab und weist in der Verknappung des Bildpersonals in die symbolistisch-ornamentale Richtung des nächsten Jahrzehnts. Bemerkenswert, dass der Gekreuzigte entgegen der Bildtradition nicht tot oder sterbend am Kreuz hängt, sondern lebendig, mit einem Nimbus hinter dem Kopf sich von seinem Leidensinstrument abstößt, körperlich gleichsam schon auffährt in den dunklen Himmel. Zeichenhafter und immer mehr an die Fläche gebunden sind die Herz-Bilder aus der Mitte der 90er Jahre. Tiefe gewinnen sie durch die Schichtung von Bildebenen, auch durch Collage-Techniken. Lebensvolle Heiterkeit verbreitet der „Harlekin oder Zirkus“mit tanzendem Männchen neben einem Zelt, aus dem Herzen empor fliegen. Spiegelsymmetrische Kompositionen zeigen späte Bilder wie „Adam und Eva im Jahr 2000“ und „Sonnenuntergang“, beide von 1997. DasPaar-Thema verfolgte Eisermann bis zuletzt, auch in der farbigen Zeichnung „Paar“, die anderthalb Monate vor seinem Tod entstand. Auf der Rückseite notierte er: „Nun kann ich endlich loslassen und hoffe für mich, es dauert nicht so lange“. Der Nachwelt blieb sein malerisches Werk. Bis 4. Januar im Alten Rathaus. Di-So 10-18 Uhr. Katalog mit Werkverzeichnis, 28 €.

Götz J. Pfeiffer

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