Kultur: Ein Mount Everest der Literatur
Ulrich Blumenbach, der Übersetzer des Kultromans „Unendlicher Spass“, spricht heute in Potsdam über David Foster Wallace
Stand:
Herr Blumenbach, welche Leserzahl ist größer? Die, die „Unendlicher Spass“ bis zum Ende gelesen haben oder die, die vor den über 1500 Seiten kapituliert haben?
Ich befürchte, dass die Mehrheit das Buch nicht bis zum Ende lesen wird. Aber anfangen werden doch hoffentlich viele.
Ist eine solche Gewissheit für Sie als Übersetzer nicht frustrierend. Sie haben schließlich sechs Jahre in die Übersetzung dieses Romans des amerikanischen Schriftstellers David Foster Wallace investiert?
Nein, meine Erwartungen, wie viele, auch ernsthafte Leser dieses Buch in Deutschland finden würde, sind längst weit übertroffen. Das hätte ich mir nicht in meinen kühnsten Träumen ausmalen können.
Das wird vor allem auch der traurigen Tatsache geschuldet sein, dass der an Depressionen leidende David Foster Wallace sich im Herbst 2008 im Alter von 46 Jahren das Leben genommen hat.
Nicht vor allem, aber leider auch. Auch wenn es makaber oder zynisch klingt, aber der Selbstmord des Autors war ein Marketingfaktor.
Aber nicht nur, wie Sie gerade sagten.
Nein, da muss mehr dahinterstecken. Ein Faktor ist sicher, dass dieser Roman bei seinem Erscheinen 1996 in den USA schnell ein Kultbuch geworden und bis heute geblieben ist. Vor kurzem habe ich mit jemanden gesprochen, der gerade in New York war und in der U-Bahn drei Leute gesehen hat, die „Infinte Jest“ gelesen haben. Das ist natürlich unglaublich, dass ein solch komplexes Buch so viele Leser findet. Und wenn etwas in den USA Kult geworden ist, schwappt dieser Kultfaktor auch gern nach Deutschland rüber.
Und wie haben Sie diesen Roman entdeckt?
Selbst gar nicht. Der wurde mir vom Verlag Kiepenheuer & Witsch zum übersetzen angeboten.
Und was war Ihre erster Gedanke, als Sie sich eingelesen hatten?
Das wird schwer!
Abgeschreckt hat Sie das Übersetzungs-Unternehmen „Infinte Jest“ nicht?
Nein. Natürlich war mir klar, dass das eine Arbeit für mehrere Jahre wird. Aber mir wurde auch sehr schnell klar, dass mich dieses Buch absolut fasziniert, ich es sehr spannend finde und mir sehr gern daran die Zähne ausbeißen würde. Und schließlich freut man sich auf eine anspruchsvolle Arbeit.
Wenn Sie in der Zeit der Übersetzung von „Infinte Jest“ gefragt wurden, woran Sie gerade arbeiten, wie haben Sie da die Handlung dieses Romans umrissen, die Geschichte kurz wiedergegeben?
Gute Frage. Die Antwort wurde dann immer sehr lang. Denn egal von welcher Seite man sich diesem komplexen Roman nähert, es wird immer eine lange Beschreibung. Diese Buch schildert ja unendliche Abgründe menschlichen Lebens mit seinen Drogenabhängigen und seinen Depressiven. Meist habe ich dann aber, weil ich ja nun mal Übersetzer bin, angefangen über die Sprache von David Foster Wallace zu sprechen.
Und was zeichnet diese Sprache aus?
Es ist eine ungeheuer reiche und vielfältige Sprache mit aberwitzigen Satzkonstruktionen und einem riesigen Wortschatz. Das macht die Lektüre sehr sinnlich erfahrbar, aber auch sehr bereichernd.
Am Anfang jedoch wirft Foster Wallace den Leser erst einmal in das berüchtigte kalte Wasser. Da wird eine Zukunft in Nordamerika beschrieben, in der die Gesellschaft von technologisierter Rundumunterhaltung und gnadenlosem Leistungszwang geprägt ist. Da ist die Rede von patronenkompatiblen Teleputern, eine Terroristengruppe von Rollstuhlfahrern treibt ihr Unwesen, die bekannte Zeitrechnung ist aufgehoben und die Jahre werden nach Sponsoren benannt, wie beispielsweise „Jahr der Inkontinenz-Unterwäsche“. Da bleiben doch mehr Fragezeichen als eine sinnlich erfahrbare oder gar bereichernde Lektüre?
Ja, das stimmt. Man muss schon eine Menge Geduld mitbringen, bis sich die zahlreichen Mosaiksteine in diesem Buch zusammenfügen.
Ist es Ihnen in den Jahren Ihrer Übersetzungsarbeit gelungen, diesen komplexen Kosmos, die Foster Wallace in diesem Roman aufzeigt, zu durchdringen und komplett zu verstehen?
Ja, und der Ehrlichkeit halber muss ich noch hinzufügen, dass man dieses Buch zwei- bis dreimal lesen muss, bis sich einem dieser Kosmos erschließt. Aber dann ist er umso reichhaltiger und sie machen die Tür hinter sich zu und steigen in eine eigene Welt ein.
Der Roman ist 1996 in den USA erschienen, Ihre deutsche Übersetzung aber erst in diesem Jahr. Was hat so lange gedauert?
Das kann ich nur zum Teil beantworten. Der Verlag hat lange nach einem Übersetzer für dieses Monstrum gesucht. Ein solches Projekt nimmt einen jahrelang in Anspruch. Man kann andere Autoren in der Zeit nicht übersetzen und das hat andere Kollegen abgeschreckt. Auch solche, die notorisch Dicke-Bücher-Übersetzer sind.
War es für Sie nicht auch ein finanzielles Risiko, sich auf diese Übersetzung einzulassen?
Ja, ein riesiges Risiko. Das Honorar des Verlages hat etwa nur ein Drittel meiner Lebenshaltungkosten abgedeckt, die mir während der Übersetzung entstanden sind.
Was hat Sie weiter angetrieben, dieses Buch trotzdem zu übersetzen?
Angetrieben oder finanziert?
Beides.
Beim Antrieb steht wohl so etwas billiges wie protestantische Arbeitsethik dahinter. Ich hatte schließlich den Vertrag unterschrieben. Finanziert wurde ich durch zwei großzügige Stipendien, dann habe ich eine kleine Erbschaft meiner Frau aufgebraucht und eine Erbschaft zu Lebzeiten meines Vaters. Und dann habe ich noch nebenbei Anlegerinformationen für eine Schweizer Bank zu übersetzt. Das war sehr lukrativ.
Sechs Jahre Arbeit an einem einzigen Roman. Hat Sie das auch persönlich verändert?
Ja, auf verschiedenen Ebenen. Der Schriftsteller David Eggers hat gesagt, wenn man dieses Buch gelesen hat, sei man ein besserer Mensch. Solche Aussagen finde ich immer überzogen. Ich aber habe zumindest die Lektüre dieses Romans mit dem Wunsch beendet, ein besserer Mensch zu werden. Denn Foster Wallace war ein durchaus moralischer Mensch mit einem sehr großem Einfühlungsvermögen vor allem für seine kaputten Figuren. Hinzu kommt, dass die meisten Bücher, die ich nach „Unendlicher Spass“ gelesen habe, mich langweilten, denn dieser Roman ist ein Mount Everest der Literatur.
Das Gespräch führte Dirk Becker
Ulrich Blumenbach spricht heute, 20 Uhr, über „Unendlicher Spass“ im Literaturladen Wist, Dortustraße/Ecke Brandenburger Straße. Der Eintritt kostet 5 Euro
Ulrich Blumenbach, geb. 1964, ist Übersetzer unter anderem von Arthur Miller und Will Self. Für „Unendlicher Spass“ wurde er mit dem renommierten Ledig-Rowohlt-Preis ausgezeichnet
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