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Vereint Zeitzeugenberichte, Listen der Bombenopfer, Texte des Alten und Neuen Testamentes und freie Verse. Der Nikolaikantor Björn O. Wiede hat ein „Potsdam Requiem“ komponiert.

© Manfred Thomas

Potsdam-Requiem: Ein persönliches Gedenken

Am Sonntag erlebt Björn O. Wiedes „Potsdam Requiem“ in der Nikolaikirche seine Uraufführung.

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Zuerst war da nur die Anregung eines guten Freundes, der mit der kompositorischen Arbeit von Björn O. Wiede vertraut ist. Immer wieder hatte Wiede in den vergangenen 15 Jahren zu unterschiedlichen Anlässen Motetten geschrieben. Und es waren diese Lieder für mehrere Stimmen, meist mit religiösem Hintergrund, die sich alle mit dem Thema Tod beschäftigen und die den Freund bewogen, Björn O. Wiede vorzuschlagen, er solle doch ein eigenes Requiem schreiben. Mehr als fünf Jahre liegt das mittlerweile zurück. Anfangs wollte sich Wiede mit diesem Vorschlag gar nicht weiter auseinandersetzen. Denn ihm fehlte ein entsprechender Anlass für eine solche Komposition. Doch dann dachte Wiede an die Bombardierung der Potsdamer Innenstadt in der Nacht vom 14. und 15. April 1945, die jährlichen Gedenkkonzerte am 14. April und dass für diesen Anlass bisher immer auf die Werke bekannter Komponisten zurückgegriffen wurde, aber eine diesem Ereignis angemessene Komposition bisher fehlt. Am Sonntag wird der Nikolaikantor Björn O. Wiede unter anderem mit dem Nikolaichor und der Neuen Potsdamer Hofkapelle sein „Potsdam Requiem“ in der Nikolaikirche zur Uraufführung bringen.

Anfang 2012 begann Wiede mit der Arbeit an seiner Komposition zum Totengedenken. Allzu lang sollte sie nicht werden, er rechnete mit 25 Minuten. Nun wird das „Potsdam Requiem“, das Zeitzeugenberichte, Listen der Bombenopfer, Texte des Alten und Neuen Testamentes und freie Verse vereinigt, eine knappe Stunde dauern. Trotzdem, da ist sich Björn O. Wiede sicher, wird es ein kurzweiliges Erlebnis sein.

Neben dem Nikolaichor und der Neuen Potsdamer Hofkapelle werden Moritz von Cube (Altus), Georg Raphael (Saxophon), Adam Weisman (Percussion) und Mirlan Kasymaliev (Orgel) an der Aufführung mitwirken. Und wie in seinen früheren Motteten wird das Requiem selbstverständlich auch eine Auseinandersetzung mit unserem Umgang mit dem Tod, die damit verbundenen Gedanken, Hoffnungen und Erwartungen sein. Von einer schlichten Musik spricht Björn O. Wiede, die auf neutönerische Experimente verzichtet. Einfache Melodien hat er komponiert, gesanglich orientiert, nur wenige scharfe Akkorde setzen hier Akzente, dazwischen kleine rhythmische Elemente, die, so Wiede, manchen vielleicht an die minimal music erinnern werden. Ihm sei es nie darum gegangen, ein großes Kunstwerk zu schaffen. Wiedes Anspruch war ein Requiem, das dem Anlass gerecht werden kann und in seiner Ganzheit bewegt und so einen Eindruck hinterlässt.

Björn O. Wiede nutzt den Kirchenraum für kleine, choreografische Elemente. Er hat in einem Kanon die vier Töne der vier Glocken der Nikolaikirche verarbeitet, dazu zwei Melodien im Kontrapunkt gesetzt. Es wird in dem „Potsdamer Requiem“ Momente der Improvisation geben, und auch Bezüge zu Bach und Mozart. So soll im dritten, „Dies irae“ überschriebenen Teil, ein kurzes Fragment aus Mozarts unvollendetem Requiem erklingen. Denn das Werk, Mozarts letzte Komposition überhaupt, wurde als erstes Potsdamer Konzert nach dem Krieg im Juni 1945 mit Sondergenehmigung der sowjetischen Militäradministration aufgeführt. Im „Offertorium“ sind dann Takte aus Bachs „Musikalischen Opfer“ eingewoben, die improvisatorisch weiterentwickelt werden. Das „Musikalische Opfer“ ist Bachs Potsdamer Werk, so Björn O. Wiede. Denn über einem von Friedrich II. vorgegebenen Thema improvisierte Bach bei seinem Besuch im Potsdamer Stadtschloss, das am 14. April 1945 bei dem Bombardement zerstört wurde, arbeitete dieses Thema weiter aus und widmete es als „ein musicalisches Opfer“ dem König. Und wie Bach selbst zu seiner Komposition schreibt, „mit der aufsteigenden Modulation steige auch der Ruhm des Königs“, so sollen die Takte im „Potsdam Requiem“ in der Improvisation gleich dem Weihrauch in der Kirche aufsteigen. Ein kleines, augenzwinkerndes Spiel mit dem Bachzitat, wie Wiede sagt, das hier zum Ruhme des Himmelskönigs, also Gott, aufsteigen soll.

Dass sein „Potsdamer Requiem“ auch Kritiker auf den Plan ruft, die als Gegenveranstaltung vor der Kirche eine Art Freudenfest veranstalten wollen, verwundert Wiede dann doch. Es gehe um ein Gedenken, aber kein kritikloses. Und dann zitiert er aus dem Klagelied Jeremias aus dem Alten Testament. Ein Text, der fast 2000 Jahre alt ist und den Wiede im „Dies irae“ verarbeitet hat: „Das ganze Land wird verwüstet, plötzlich wird das Gezelt überwältigt und die Hütte! Ein Narr ist mein Volk, es will mir nicht glauben. Töricht sind sie und ohne Einsicht. Weise sind sie, Böses zu tun, doch Recht zu tun verstehen sie nicht. Ich schaue das Land an, ach! Wüst war es und öde, und den Himmel, ach! Er war finster.“

„Potsdam Requiem“ am Sonntag, dem 14. April, 18 Uhr in der Nikolaikirche, Am Alten Markt. Der Eintritt ist frei

Dirk Becker

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