Kultur: Ein Reigen plumper Gags
Goldonis „Mirandolina“ im Hans Otto Theater
Stand:
Hier müssen wir einmal böse werden. Was beim diesjährigen Sommer-Open- Air des Hans Otto Theaters ein leichtbeschwingter wie dennoch feinsinniger Theaterabend unter freiem Himmel hätte werden können, der selbst einen Halbinteressenten fröhlich nach Hause entlässt, ist auf ganzer Linie nach hinten losgegangen. Das mag nicht nur am grauenvollen Wetter bei kühlem Wind und herbstlichen Temperaturen gelegen haben, weshalb die Zuschauer teils in rote Wolldecken eingehüllt und mit Kapuzen über dem Kopf tapfer ausharrten. Nicht zu vergessen die Schauspieler, die leicht bekleidet und mit boulevardesker Schlüpfrigkeit nicht minder wacker über die von Alexander Wolf gestaltete Bühne im Gasometer am Neuen Theater sprangen, sangen und hüpften. Und ob Tobias Wellemeyer unter die Premiere des von ihm inszenierten Stücks „Mirandolina“ von Carlo Goldoni einen heiteren Schlussstrich ziehen wird, darf bezweifelt werden. Überhaupt geht diesen Eindrücken allergrößter Respekt voraus. Der Applaus ist der Lohn des Komödianten. Und geklatscht wurde reichlich. Doch vielleicht ist der Beifall nicht immer ein sicheres Zeichen, dass auch wirklich alles gut war.
Denn gut war wenig. Gut im Sinne von originell. Als Ausdruck dafür, dass jemand für seine Talente die passende, zeitgemäße Attitüde findet. Eigentlich fällt hier nur ein Moment von Meike Finck in der Hauptrolle der Wirtin ein, die hinter einem Mikrofon, gefühlt aus dem Zeitalter des Rock’n’Roll, singt und Stimme und Melodie sich zu einem weiblichen Wesen vereinigen, das selbstbewusst sämtlichen männlichen Überwachungsdoktrinen entflieht. Allerdings fällt sie dabei offenbar auch aus ihrer Rolle, denn diese Freiheit steht ihrer ansonsten fingierten Freiheit konträr gegenüber. In dem Stück, das von der schönen „Mirandolina“ handelt, die von allen Männern umschwärmt wird, gebraucht sie ihre Freiheit als Schlupfloch vor der männlichen Zudringlichkeit. Sie benutzt das vermeintlich starke Geschlecht oder vertreibt es wie lästige Motten. Dass sie nicht wirklich frei ist, frei nach dem Verständnis unserer Tage, sondern abhängig von der männlichen Bestätigung und ihrer Lust, verführt zu werden, um sich schließlich hinzugeben, spiegelt sich in der Pointe des Cavaliere di Ripafratta. Den, zunächst ein Frauenverächter, umwirbt Mirandolina mit den Mitteln der weiblichen List, worauf sich der Bad Boy tatsächlich in sie verliebt, jedoch voller Verdruss nach Livorno abreist, als es Mirandolina mit ihren Spielchen übertreibt. Die Liebe ist ein Tausch. Man gibt und bekommt. Und Mirandolina, die Gute, steht schließlich mit leeren Händen da.
Natürlich, die Ambition, Sommertheater zu veranstalten, ist verständlich. Ein wenig leichte Kost. Eine Pause, damit die Zuschauer eine Erfrischung zu sich nehmen können. Gute Laune, wunderbar. Trotzdem braucht es ausreichend Präzision bezüglich der beabsichtigten Emotionalisierung. Wen will man erreichen? Und mit welchen Mitteln? Anfänglich noch auf aktuelle Gesellschaftsthemen wie Suche nach Anerkennung, Kompromisshändel, Käuflichkeit in Beziehungen und Ähnliches anwendbar, wird aus der Inszenierung schnell ein furchtbar altmodischer Reigen plumper Gags. Wenn schon, warum nicht richtig Commedia dell’arte machen? Oder umgekehrt krasse Gegenwart. Nach vielen Jahren medialer Comedyerfahrung ist das Publikum hart gestählt und kann und will einiges vertragen. So wirkt handwerklich und inhaltlich alles zu billig. Ralph Findeisen
Ralph Findeisen
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: