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Kultur: Ein Relikt

Postkartenausstellung im „Kunstgriff.23“

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Es sind die Momente, die man festhalten möchte. Gerüche, Geschmäcker, Erlebnisse, die entschwinden, wenn man sie nicht aufschreibt. Es sind die Momente, die wir mit anderen teilen möchten, denen wir aus der Ferne sagen möchten, dass wir an sie denken. Dazu eignet sie sich wunderbar, die Postkarte. Als kleine Erinnerung oder einfach nur als kleine Aufmerksamkeit. Doch ist es zur Seltenheit geworden, tatsächlich zu Stift und den kleinen Pappkarten zu greifen und Grüße durch die Welt zu schicken.

In dem Atelier und der Zeichenschule „Kunstgriff.23“ sind in diesem Herbst viele Postkarten im Rahmen eines Wettbewerbs eingegangen, die dort von den Besuchern angeschaut, angefasst und bewundert werden können. Denn es sind nicht nur einfache Postkarten, lieblos ausgesucht am nächstbesten Touristenstand, dann schnell beschrieben mit den Ereignissen der letzten Tage und Lobpreisungen über das Wetter. Jede wurde individuell und von bastelfreudigen Kindern und einigen Künstler gestaltet. Über jede einzelne hat sich Heike Isenmann, Initiatoren des Postkarten-Wettbewerbs, gefreut.

„Ich war es einfach leid, nur Rechnungen in meinem Briefkasten zu finden“, erzählt sie. In der schnelllebigen Gesellschaft sei es schließlich schwer, sich die Zeit und die Muße für das Schreiben und Versenden einer Postkarte zu nehmen. Bei 90 Teilnehmern war es reichlich erfreuliche Post, die ihren Weg zu Heike Isenmann fand. Nach einem Punktesystem in den Kategorien Gestaltung, Text, Idee, Kinder- und Künstlereinsendung bewertet, war es vor allem Roman Lindebaum, der mit seinen gesammelten Postkarten überzeugen konnte.

Dabei habe er nur die Karten, die er von Freunden und Verwandten von überall auf der Welt zugesendet bekommen habe, an Frau Isenmann weitergeschickt. Ein goldener Pappteller, der normalerweise eher zum genussvollen Verzehr von Bratwurst genutzt wird oder aber eine aufgerissene Schokoladenmilchpackung, die kurzerhand ebenfalls in eine originelle Postkarte verwandelt wurde. „Das sind alles persönliche Gegenstände, die die Menschen, die mir die Karten schicken, mit den Orten und Erlebnissen verknüpft“, erklärt Roman Lindebaum.

Aus jedem der selbstbemalten, selbstbeklebten, betuschten, beschriebenen und sogar mit Nadel und Faden bearbeiteten Pappstücke entsteht ein individuelles kleines Kunstwerk. Haben es doch besonders häufig Tiermotive auf die Vorderseiten der Postkarten geschafft, sind auch die Rückseiten mit selbstgebastelten Briefmarken und eigens entworfenen Poststempeln einen Blick wert. Mithilfe von Glitzerstiften erstrahlt so eine bunte Unterwasserwelt, die dunklen Augen eines schwarz-weißen Gesichtes schauen mit verschlossenem Blick dem Betrachter entgegen und aus auseinandergeschnittenen Tieraufklebern entsteht ein ganz neues Geschöpf, von dem vermutlich nur der Künstler weiß, was er da tatsächlich abgebildet hat. Hier steht in kindlicher Handschrift ein Gruß geschrieben und dort ein Gedicht in Computerschrift verfasst.

Mit der Schnelllebigkeit unserer Gesellschaft und im Zeitalter von E-Mail und SMS ist das Schreiben von Postkarten beinahe zu einer vom Aussterben bedrohte Art geworden. Doch sind es diese kleinen Stücke Papier, die Individualität und Persönlichkeit transportieren können und die Momente festhalten und sie mit anderen teilen, bevor sie als bloße Erinnerung verschwinden. Chantal Willers

Zu sehen bis 30. November, „Kunstgriff23“, Carl-von-Ossietzky-Straße 23

Chantal Willers

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