Kultur: Ein Seiltänzer mit der Geige
Höchstmaß violinistischer Finessen mit Wolfgang Hasleder in der Friedenskirche
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Höchstmaß violinistischer Finessen mit Wolfgang Hasleder in der Friedenskirche Eine einzelne Geige wurde gefeiert bei einem ungewöhnlichen Konzert in der Friedenskirche in Potsdam-Sanssouci. Wolfgang Hasleder ließ erstmals nach dem Rückbau seine Geige von Petrus Antonius Cati aus dem Jahr 1738 mit Barock-Sonaten im Stil der Zeit erklingen. Nach einer Aufführung von Johannes Brahms Doppelkonzert war dem Konzertmeister der Magdeburger Philharmonie der Gedanke gekommen, dass seine alte Geige aus Florenz nicht für die ausladende, symphonische Musik des 19. Jahrhunderts gebaut sein könnte, ja geradezu, wie er im Programm schreibt, „nach einer Befreiung von zu hohem Druck und intensiver Spannung ersuchte“. So gab er dem Geigenbaumeister Thilman Muthesius den Auftrag, das wertvolle Stück in eine barocke Geige zurückzuverwandeln. Um es gleich zu sagen: Das Ergebnis, „La Réjouissance du Violon“, etwa mit „geigerische Lustbarkeit“ zu übersetzen, begeisterte die Zuhörer in der Friedenskirche. Es zeigte sich, dass solch ein Höchstmaß an violinistischen Finessen wie im frühen 18. Jahrhundert kaum wieder erreicht wurde – auch nicht im genieverliebten 19. Jahrhundert, als Geiger wie Niccolo Paganini fast wie Götter verehrt wurden. Doch da war die solide Basis und die technische Rafinesse schon weitgehend vorhanden, entwickelt von den Komponisten, Violinisten und den Geigenbaumeistern jener Zeit, insbesonders in Italien. Umso erstaunlicher ist daher, dass die meisten der damaligen Stücke im heutigen Geigenstudium ignoriert werden. Ein Pionier violinistischer Finessen war der fast vergessene Komponist und Geigenvirtuose Heinrich I. Biber. Hasleders Violine, nun in milder Valotti-Stimmung von 415 Hz, entfaltete die Klänge von Bibers Sonate I, A-Dur in reinster Klangpracht. Mehrfach erschien es, als ob die Geige mit zwei oder sogar drei anderen Geigen um die Wette spielen würde – möglich wurde dies durch die stupenden Doppelgriffe, die Wolfgang Hasleder virtuos umsetzte. Zu Recht bis heute bekannt ist Antonio Vivaldi. Die Sonate Op. II/12 a-moll bestach mit schmelzenden, sensibel geformten Kantilenen im Preludium, führte im sprühenden Cappricio einen waghalsigen, virtuosen Teufelsritt vor und endete mit einer hocheleganten, kontrapunktisch ausgefeilten Allemande, nicht ohne anschließend mit einem kleinen überraschenden Furioso-Finale aufzutrumpfen. Bravo, bravissimo hätte man da laut rufen mögen! Allein, die kühlen Temperaturen und das nordische Temperament verhinderten derartige Ausbrüche wohl. Delikate Geigenklänge wusste auch Giuseppe Tartini zu erzeugen, nicht nur in der „Teufelstriller-Sonate“, dem Hit aller Klassikwellen. Als besonderes geigerisches Bravourstück, exzessiv und klangsinnlich, erwies sich die Sonate op. I/3 C-Dur, die Wolfgang Hasleder spritzig, elegant und subtil interpretierte – wie ein Seiltänzer mit Geige, der bei seinen halsbrecherischen Kunststücken nie die Balance verlor – egal ob Springbögen, Doppelgriffe, legato, spiccato, oder, selten, ein Triller erklangen. Sein weitgehend vibratoloses Spiel verließ sich ganz auf die stupende Technik und den musikalischen Einfallsreichtum von Komponist und Interpret. Nach einer ungewöhnlich herben Sonate von Johann Graun erklang mit einem Werk von Jean Marie Leclair ein frühklassisches Werk, das schon einige der barocken Manierismen hinter sich gelassen hatte zugunsten von formstrengeren Strukturen. Auf ein versonnenes Largo, klar und transparent gespielt, folgte eine tiefgründige Ciaccona, dunkel, gezackt und getrieben. Nach diesem musikalischen Abgrund folgte ein heiterer Satz des großen Georg Philipp Telemann mit dem Titel „Sans souci“ – ein glückliches Omen für eine wiedergeborene Geige. Babette Kaiserkern
Babette Kaiserkern
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