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Kultur: Ein stiller Held

Stephan Tanneberger las im Caffé 11-line

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Die Geschichte ist schnell erzählt. Zwei Ärzte lernen sich auf dem Flug von Bologna nach Dehli kennen, als das Flugzeug plötzlich den Kurs ändert und per Borddurchsage eine Notlandung angekündigt wird. Unter den Passagieren verbreiten sich rasch Angst und Unsicherheit, schon hat man die Bilder vom 11.September 2001 vor Augen. Am Ende aber wird alles gut, das Flugzeug landet sicher, Erleichterung allenthalben, das Leben geht weiter. Für die beiden Ärzte ist das Erlebnis nun der Ausgangspunkt für einen lang ausgreifenden, gedankenreichen und buchstäblich weltverbesserischen Dialog. Da ist also ein Rahmen, doch nicht viel Handlung in „Notlandung“, dem aktuellen, im Scheunen-Verlag erschienenen Buch von Stephan Tanneberger. Die Unterhaltung stehe auch nicht so im Vordergrund, er wolle mehr eine Botschaft vermitteln, sagt der Mediziner und Wissenschaftler zu den knapp 20 Gästen, die sich am Freitagabend im Caffé 11-line zu seiner Lesung eingefunden haben.

Es ist erstaunlich, dass dieser Mann überhaupt noch die Zeit findet, Bücher zu schreiben. Professor Doktor Stephan Tanneberger ist einer der führenden Onkologen in Europa. Nachdem er bis 1990 Oberarzt und Direktor des Zentralinstituts für Krebsforschung der Akademie der Wissenschaften der DDR gewesen war, widmet er sich seither in vielen Ländern der Dritten Welt aktiv der Krebsbekämpfung. Zudem ist er wissenschaftlicher Direktor des italienischen Instituts Associazione Nazionale Tumori (ANT) und Professor für Onkologie an der Universität in Bologna, wo er auch seit langem mit seiner Familie lebt. Doch spricht der mittlerweile 76-Jährige an diesem Abend nicht viel von seinen Posten und ehrbaren Aktivitäten, sondern von seinen Sorgen um die Menschheit, die weiterhin ihren privaten Glücksansprüchen nachjagt, während in vielen Teilen der Welt Not und blankes Elend herrschen. Es würden noch immer Millionenprofite für die Rüstung eingefahren, neue Feindbilder erfunden und Ängste geschürt, und sei es nur vor dem Wirtschaftswachstum Chinas, der Run auf die letzten Ressourcen sei gnadenlos und werde ohne jedwede Verantwortung fortgeführt, vom Klimawandel würde stets nur berichtet wie von der Fußball-WM, und während hier über zu dicke Kinder geklagt wird, verhungerten sie dort täglich.

Die bekannten und unbequemen Wahrheiten also, der Stoff, aus dem die Dialoge der beiden Ärzte in „Notlandung“ überreichlich schöpfen. Tanneberger, im eleganten Anzug, liest mehrere davon vor, hebt bisweilen den Finger und schaut doch gütig in die Runde. Das Flugzeug erklärt er zur Metapher für die Welt, darin die Passagiere nebst Besatzung ein gut funktionierendes Miteinander benötigen, um nicht schlimmstenfalls gemeinsam abzustürzen. Als es notlanden soll und alle bangen, herrscht Eintracht und hinterher Harmonie. Deshalb sieht Tanneberger auch die „Angst als Rezept gegen unsere Ich-Welt“. Die Notlandung dient als Symbol, damit durch sie die Menschheit endlich zur Besinnung kommt.

Bei den Gästen rennt er mit seinen Gedanken offene Türen ein. Mehrmals wird sein Buch gelobt, werden seine Ansichten bestätigt. Die Lesung ist längst in eine Gesprächsrunde übergegangen. Nicht überraschend. Man ist sich einig, dass Ignoranz und Verdrängung die Welt nicht gesunden lässt, dass es kein fremdes Leid gibt und man im Interesse zukünftiger Generationen jetzt und gemeinsam handeln müsse. „Die Menschen, also wir, sind schlecht, aber vielleicht nicht so schlecht, dass wir den Untergang verdient hätten, und vielleicht nicht so dumm, dass wir den nicht vermeiden könnten.“ Worte eines Mediziners, dessen Ethos ganz vom Dienst an den Menschen bestimmt ist. Unermüdlich ist Stephan Tanneberger für sie im Einsatz und gerade seine Bedenken geben ihm den Optimismus, ihnen mit seinem Buch Mut zu machen. Daniel Flügel

Daniel Flügel

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