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Kultur: Ein Sturm fegt durchs Orchester

Improvisation durch Soundpainting: Kinder der Karl-Foerster-Schule proben für die „Intersonanzen“

Glühende Gesichter, verschwitztes Haar unter wollenen Mützen, die Finger klamm – nach und nach trudeln die Fünftklässler im Musikraum der Karl-Foerster-Schule ein, pellen sich aus dicken Anoraks und packen ihre Instrumente aus. Neuschnee gegen Neue Musik. Und das an einem Sonnabend. Was für eine Alternative!

Aber die Neue Musik hat am vergangenen Wochenende gewonnen, zumindest für zwei Stunden. Eine der letzten Proben vor dem großen Auftritt bei den „Intersonanzen“. Mit einer Performance werden die Kinder morgen um 17 Uhr im Alten Rathaus das Brandenburgische Fest der Neuen Musik eröffnen.

In den vergangenen Monaten haben sie hierfür eine ganz eigene Zeichensprache gelernt: das Soundpainting. Sabine Vogel, derzeit die Einzige in Deutschland, die diese Kompositions- und Dirigiersprache unterrichtet, hat sie ihnen beigebracht. Hundert der inzwischen fast 800 Zeichen konnten sich die Kinder merken. Nun kommt es darauf an, punktgenau auf die Gesten der Dirigentin zu reagieren, mit Tönen, Worten, Bewegungen und Geräuschen.

Die schmale Frau steht vor ihrem im Halbrund sitzenden „Orchester“, hebt die Arme über den Kopf, so dass sich die Fingerkuppen beider Hände berühren – das Zeichen für „alle gemeinsam“. Beim nächsten Signal pendeln sich alle auf einen Ton ein, die Sänger mit den Stimmen, die Instrumentalisten auf Akkordeon, Flöte, Gitarre und Klavier. Gleichmäßig schlagen zwei Trommler den Takt. Aber schon das folgende Zeichen bringt alles durcheinander. Jeder darf improvisieren, so laut und wild er kann. Mit ineinandergehakten Händen und pressenden Gesichtszügen fordert Sabine Vogel noch mehr Intensität. Das Akkordeon jault, die Pianisten hauen in die Tasten und ratschen mit Stiften über die Saiten des Klaviers. Flöte und Mädchenstimmen treiben sich gegenseitig in die Höhe. Ein Höllenlärm, den die Dirigentin wie von Zauberhand mit einer in die Luft gezeichneten Linie kanalisiert und als einheitlichen Ton ruhig fließen lässt.

Den Kindern macht das sichtlich Spaß, fordert aber auch ihre ganze Konzentration. Fortwährend müssen sie nach vorn schauen, die Zeichen entschlüsseln, blitzschnell reagieren, auf die Mitschüler achten, ohne den Blick von der Dirigentin zu lassen. Wenn Sabine Vogel die Finger auf der Handfläche hüpfen lässt, dann heißt das, zwischendurch auch noch aufzuspringen und sich wieder hinzusetzen. Und richtet sich der ausgestreckte Zeigefinger auf einen selbst, dann ist ein Solo gefragt, ein Quäken oder Lachen, ein hingeworfenes Wort, ein Pfiff oder ein kurzer Breakdance.

Die einzelnen Elemente verbinden sich in der Performance zu einem Klangbild, das aus dem Moment heraus entsteht. „Soundpainting“, sagt Sabine Vogel, „ist auch eine Form von Echtzeitkomposition.“ Die ausgebildete Flötistin hat die Dirigiertechnik bei dem Amerikaner Walter Thompson studiert, der sie seit über zwanzig Jahren entwickelt. Inzwischen gibt es international eine wachsende Gilde von „Soundpaintern“, die sich in dieser lebendigen Sprache austauschen und immer wieder neue Zeichen hinzufügen. Nicht nur Musiker, sondern auch Tänzer, Schauspieler und visuelle Künstler profitieren davon, weil man mit Hilfe des universellen Zeichensystems ein Konzert, eine Theaterarbeit, ein Tanzstück oder auch eine Filmmusik spontan verwirklichen kann.

Und natürlich wurde von Beginn an der Wert für die Musikpädagogik erkannt. Maria Zinckernagel, Leiterin der Karl-Foerster-Schule und Musiklehrerin, holte sich das Projekt in ihren Unterricht, weil sie fest daran glaubt, Kinder über das eigene Tun an die ungewohnten Klangstrukturen der Neuen Musik heranführen zu können. Ihre Rechnung geht auf. Die Schüler üben ihr Gehör und werden selbst kreativ. Sie lernen, aus sich herauszukommen, ihre Gefühle mit der Stimme, dem Instrument und dem ganzen Körper auszudrücken. Die elfjährige Paula findet es aufregend, mal ordentlich Krach zu machen, lauter zu werden, „was man ja sonst nicht so darf“. Und Richard am Klavier freut sich, dass er nicht auf Noten achten muss, sondern frei drauflos spielen kann. „Es gibt hier kein richtig oder falsch, man kann praktisch keinen Fehler machen“, hat er entdeckt und grinst übers ganze Gesicht, stolz, etwas Besonderes zu können, eine Geheimsprache, die sonst kaum jemand versteht. Sylvana, ein etwas stilleres Mädchen, erinnern die Klänge, die sie mit ihren Mitschülern erzeugt, an Geräusche in der Natur. „Manchmal hört es sich aber auch an wie draußen auf der Straße, wie Autos im Verkehr.“ Und tatsächlich: Mit einer ausladenden Armbewegung lässt Sabine Vogel zum Schluss einen Sturm durchs Orchester fegen. Das Akkordeon pustet tonlos, ein gespenstisches Pfeifen spitzt sich zu. Dann herrscht Stille, wie auf dem Schulhof, wo der Schnee die Kinder ins Freie lockt.

Antje Horn-Conrad

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