Kultur: Ein Tröten im ganzen Haus
Der Nikolaisaal wurde zum Kinderland
Stand:
Wie ein idealer Nachwuchsmusiker der jüngsten Generation aussieht? In einer Hand die selbstgebaute Tröte, in der anderen Kastagnetten nach dem Patent „ein Faltkartonstreifen und zwei aufgeklebte Walnuss-Schalen“ gebastelt. Es darf ja auch die einfachste Version einer Panflöte aus Plastikröhrchen oder ein Luftballon mit sechs eingesperrten Erbsen sein. Nur „Juniohr“ muss draufstehen, damit jeder weiß, dass es sich um eine Kinderveranstaltung der Kammerakademie Potsdam und des Nikolaisaales handelt.
Einmal im Jahr, zur Eröffnung der neuen Saison, gehört „St. Nikolai“ in der Staabstraße von oben bis unten solcherart Nachwuchs. Am Sonntag war es nun wieder soweit. Mitgeschleppte Eltern werden bei freiem Eintritt geduldet, selbst wenn sie sich wie Kinder benehmen, papierne Zopfperücken tragen und im Foyer mit Luftballons spielen. Die Mozartperücken, wie alles Zubehör, wurden am Sonntag vor Ort hergestellt, selbst Hausherrin Andrea Palent sah man beim Falten und Kleben, ein echtes Gemeinschaftswerk zugunsten des derart gerüsteten Musik-Nachwuchses.
Nach den ersten Erfahrungen im „Instrumentenbau“ und einer Musikerziehung der etwas anderen Art, wie unter anderem im Michendorfer Wolkenberg-Gymnasium, hat die Kammerakademie als „Hausorchester des Nikolaisaales“ seit Anfang des Jahres ordentlich zugelegt. Seminare und Workshops zu Musikvermittlung, Konzertpädagogik, Opern- und Filmmusik sollen das Gesamtensemble befähigen, jede Herausforderung anzunehmen, egal ob eine Kita es ruft oder ein Gymnasium bucht. Man will gleichsam rundum gerüstet sein, Kinder an den Geist der Alten und Neuen Musik heranzuführen. Wie das geht, zeigte der Familienachmittag im Haus Nikolaisaal in vielfältiger Weise.
Begeistert und hingebungsvoll wurden also Perücken geklebt, Tröten gebastelt, in der Ticket-Galerie wurde die Unterstufe im wahrsten Sinne an die Fühl- und Hörwelt herangeführt, denn die Resonanz von Bass oder Gong zu spüren, brauchte es wohl verbundener Augen. Während auf der Galerie per Quiz erklärt wurde, wie sich ein Elefant im Geigenkasten versteckt, stellte man im Studiosaal die Welt der Streichinstrumente vor, und im Backstage-Bereich wurde „Filmmusik selbst gemacht“, leider nur für sehr wenige, eine Reprise gab es da nicht. Dafür durfte man sich an einem witzigen Konzert des Spatzenchors der Singakademie Potsdam erfreuen, der beispielsweise von einem Trotzfrosch erzählte, welcher statt „Quak, quak!“ nur immer „Hm, hm!“ machen wollte.
Die Atmosphäre im Haus war anhaltend super, mindestens 800 Köpfe hat man gezählt. Überall trötete es. Höhepunkt war dann Mozarts „Kleine Nachtmusik“ für eine Kammerakademie, einen Saal voller neugieriger Kinder bis zum Schreihals-Niveau, und Moderator Stephan Holzapfel im Kostüm der Mozart-Zeit. Er stellte sich im Schloss Nikolai als Graf Stephan von Schall und Rauch vor. Ein Improvisationskünstler, für jeden der vier Sätze dachte er sich etwas Besonderes aus. So fragte er die Kinder, was ihnen zum ersten Satz einfiele. Frühling, Bachrauschen, ein Reh. Im vierten tanzte er mit ihnen ein echtes Menuett. Als das alles zu Ende war, hingen im Foyer bereits Helium-Luftballons an der gesamten Decke – zum Mitnehmen, aber nur für Kinder. Gerold Paul
Gerold Paul
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