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Kultur: Ein ungleiches Paar

„Tango Lyrico“ im Foyerkonzert des Nikolaisaals

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Er: Ein Draufgänger, der sich auch auf das Schmeicheln versteht. Klar, südländischer Typ. Sie: Eine stolze Prinzessin, kalt, aufrecht und mit reinster Stimme. Ein blondes Engelskind, das häufig abseits steht. Er, das Saxophon, heißt Mulo Francel. Sie, die Harfe, Evelyn Huber. Gegensätze ziehen sich bekanntlich an. Er muss daher nicht lange im Nikolaisaal um sie werben. Seit zehn Jahren steht das Duo gemeinsam auf der Bühne. Wenn sein Blick den ihren durch die 47 Saiten der majestätischen Konzertharfe sucht, trifft er stets auf ein ihm gewogenes, waches Augenpaar. Evelyn Huber wollte sich nicht mit der traditionellen Stellung, die man der Harfe im Orchester seit jeher zuweist, zufrieden geben. Immer etwas abgesondert am Rande, immer im Ruf des Femininen stehend. Oder kennt man einen männlichen Soloharfenisten?

Huber lernte über das klassische Fach hinaus u.a. in den USA die Jazzharfe und traf daheim im Süddeutschen auf Francel, einen waschechten Münchner, der mit seinem Ensemble Quadro Nuevo mehrmals Jazz Award Gewinner wurde.

Es gibt nicht viel Literatur für dieses Gespann. „Und das Wenige, das es gibt, das wollen wir nicht spielen“, erzählt Huber in einer ihrer bezaubernd bodenständigen Zwischenansagen. Sie beide arrangieren und komponieren. Und längst nicht nur Tango. Wenn ihnen mal eine fremde Melodie gefällt, wird sie nicht kopiert, sondern spitzbübisch „mit Respekt herausgelöst“. Um diese wird dann „durch die Saiten hindurch“ improvisiert, selbst wenn es so sicher aussieht, als wäre es vom Blatt einstudiert worden.

Die Harfe, das größte Orchesterinstrument, verlangt ganz undamenhaftes Zutreten. Und dem zarten Zupfen lässt Huber gelegentlich ein härteres Reißen und Anschlagen dazugesellen. Manchmal greift sie auch zum metallenen Stellschlüssel, und variiert damit den Ton der Saite, als handle es sich um eine Westerngitarre. Dagegen kommt zuweilen Mulo Francels Horn samtpfötiger daher. Den schmachtenden Klagelaut eines erregten Sopransaxophons beherrscht Francel, doch setzt er ihn vergleichsweise spärlich ein. Viel lieber lässt er eine „Fata Morgana“ dadurch entstehen, dass ein Ton kurz über der Schwelle des reinen Atmens gehoben wird. Die Bassklarinette, langes Silber und Ebenholz, brummt auch mal in Zirkulartechnik, ganz ohne abzusetzen. Oder er greift zum Tenorsaxophon, dessen dunkles, rauchiges Timbre Zarah Leanders Evergreen „Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehen“ auferstehen lässt. Francel schafft mit seiner Spannbreite an Dynamik jene Wärme, in der die allein immer ein wenig kalt wirkenden Töne der Harfe auftauen können. Ein Glissando, bei dem Huber mit ihren Fingernägeln gleich über einen ganzen Satz von Saiten streicht, klingt wie ein Terrassenvorhang aus Glasperlen, so als trete man aus kaltem Zimmer in den Sonnenschein und fröstele noch ein wenig. Schon ist Francel da und interpretiert den Jazzstandard „Take Five“ so flott und sommerfrisch, dass man zu dem Dave Brubeck Klassiker gleich das Fenster aufreißen möchte.

Sie das Ross, er der geharnischte Reiter, die im Stück „Aventure“, althochdeutsch für eine längere Abenteuerfahrt ohne rechtes Ziel, einen perfekten Einklang bilden. Eine betörende Einheit, die schon zu Anfang des Konzerts die Zuhörer zu Walzertänzern werden lässt. Die auch ihre Wirkung entfaltet, als Mulo Francel sich von Hubers goldglänzendem Engelsinstrument räumlich trennt und effektvoll von der Galerie herunter spielt. Und die immer dann zum Höhepunkt findet, wenn Saxophon und Harfe, Er und Sie, Dunkel und Blond, Mann und Frau, sich einhaken, für einen Moment unzertrennlich sind, und das Stückchen einer Melodie gemeinsam voranschreiten. Das kaltfüßige Trippeln ihres Zupfens, das herbforsche Stößeln seines Atems im gleichen Schritt: Es bewegt den Saal zu Bravi und das ungleiche Paar zu vier Zugaben.Matthias Hassenpflug

Matthias Hassenpflug

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