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Kultur: Ein untätiger ist immer ein verschenkter Tag

Volker Braun stellt heute seinen neuen Roman im Literaturladen Wist vor

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Dieses Buch gilt es, zwei Mal zu erlesen. Das erste Mal mit forschem Schritt, an der Hand gepackt von Meister Flick und durch die Seiten marschiert, als gelte es, ein Land zu erobern. Ein Land, wie es heißt, das „es hinter sich hat“. Flicks Heimat, in der ausgerechnet ihm, einem Held der Arbeit, die Arbeit abhanden gekommen ist. Doch Flick akzeptiert nicht was ist, denn Arbeit gehört zum Leben. Drum macht er sich auf die Suche. Das verspricht manch Abenteuer und nicht selten ein prachtvolle Tracht Prügel.

Beim zweiten Mal gilt es, sich Zeit zu lassen für die Sprache, mit der Volker Braun „Machwerk oder Das Schichtbuch des Flick von Lauchhammer“ erzählt. Anspielungsreiche, bildstarke und wortverliebte Genussliteratur, die langsam und auch laut zu lesen ist. „Unweit floß der Hammergraben, von allem Abflat erlöst, die Sonne stellte ihre blanken Spiegel ins Luch. Er erblickte vor sich einen abgestorbenen knorrigen Strauch, kein Blatt, aber ein Gekrächz darin, denn Raben befiederten die Äste. Er hob (oder warens Geier?) den Arm, und sie flogen schwarz auf und strichen über die Brache, als wäre die Erde Aas.“

Heute stellt Volker Braun sein Buch mit Flicks Abenteuern, dem Held der Arbeit von der traurigen Gestalt, in Potsdam vor. Der Leser braucht nicht erst bis Seite 58, wo das elfte Kapitel „den verdrehten Traum, in dem sich Flick aus Lauchhammer gegen die eingewanderten Windräder wehrt“ enthält, um zu wissen, dass Braun mit diesem Meister Flick einen Don Quijote durch die Lausitz der Nachwendezeit toben lässt. Flick, 60 Jahre jung, war ein Arbeitsleben lang für die Beseitigung von Katastrophen in seinem geliebten Tagebau zuständig. Seit 1989 aber braucht niemand mehr die Dienste des ritterlichen Arbeiters Flick. Doch, wie schon gesagt, er akzeptiert diesen Zustand nicht.

Seine Rüstung ist ein alter Arbeitsoverall. Statt eines Rasierbeckens trägt Flick einen roten Helm auf dem Kopf. Sein altes MZ-Motorrad ist seine Rocinante und als Knappe muss sein fauler Enkel Luten herhalten, auch liebevoll „Luder“ genannt. Haarsträubendes lässt Büchner-Preisträger Braun diesen Flick und Enkel Luten erleben. Ob er als Aufpasser im Museum für Chaos sorgt oder polnische Prostituierte zum Wände streichen verdingt, diese Flick ist ein aus der Zeit gefallener Idealist, ein Kauz durch und durch. Mit „Machwerk oder Das Schichtbuch des Flick von Lauchhammer“ (Suhrkamp-Verlag, 19,80 Euro) hat der 69-jährige Volker Braun einen tiefschichtigen, burlesken und stellenweise hanebüchenen Schelmenroman geschrieben, der durch seine permanenten Überspitzungen der Zustände auf dem deutschen Arbeits(losen)markt deren Hilflosig- und oft auch Lächerlichkeit schonungs- und hoffnungslos offen legt. Und so gehört es zum vergnüglichen Lesen dieses Buches, dass einem das häufige Lachen oft genug im Halse stecken bleiben will. Dirk Becker

Volker Braun liest heute, 20 Uhr, im Wist. Der Literaturladen, Brandenburger/Ecke Dortustraße. Der Eintritt kostet 5 Euro.

Dirk Becker

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