
© Gerhard F Ludwig
Kultur: Ein Veränderungsgedicht
Mit Körper und Sprache wollen Two Fish bei den Tanztagen dem Wandel nachspüren
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Nackt liegen zwei Körper auf dem Boden, halb Mensch, halb Tier, nur von flaumiger Körperbehaarung bedeckt. Was die Berliner Compagnie Two Fish den Zuschauern in ihrer Performance „Halt mir meinen Platz frei, bis ich wieder da bin“ am Pfingstsonntag und Pfingstmontag im Rahmen der Potsdamer Tanztage darbietet, ist auf den ersten Blick archaisch. Doch sprechend werden die Körper philosophisch, denn sie reflektieren den Wandel, dem der Mensch unterworfen ist.
Wandel, dem wir zwiespältig gegenüberstehen, weil wir ihn wünschen, vielleicht selbst herbeigeführt haben, den wir aber fürchten und abwehren, wenn er uns von außen aufgezwungen wird. Der Titel sei ein guter Schlüssel ins Stück hinein, erklärt Martin Clausen von Two Fish. Er sei aber auch in sich absurd. Denn er beschreibe, wie wir verändert zurückkommen und trotzdem alles so haben wollen, wie es vorher war. „Das wird in unserem Stück verhandelt, es ist eine Art Veränderungsgedicht.“
Die liegenden Körper wiegen sich auf der Stelle. „Ein Neustart? Ich will nicht neu, erst will ich das alte verstehen“, klingt es durch den Raum. Ständig sich wiederholende Bewegungen, unfähig, ein neues Bewegungsmuster zu wagen, unfähig, Trost zu finden. Angela Schubot und Martin Clausen, Mischwesen aus Mensch und Tier, wälzen sich umher, nehmen sich gegenseitig kaum wahr, sind weit voneinander entfernt, jeder mit sich selbst beschäftigt. Und doch beziehen sie sich aufeinander. Ihre Bewegungen wirken angestrengt und trotzdem lustvoll. Die beiden berühren sich nicht und synchronisieren sich doch nach und nach.
„Die Sprache ist ein Reisebericht. Du sollst da, wo du bist, das wissen, was ich hier weiß.“ Jetzt geht es um Kontakt, darum, eine Beziehung herzustellen. „Was ist Liebe? Die Liebe ist ein Trick!“ Und sofort steht die Angst im Raum, ein „Käfigtier“ zu werden. Die Oberkörper zucken und rotieren weiter über den Boden. Dann beginnen beide laut zu schreien, es klingt kläglich. Doch endlich fassen sie sich an – ein Höhepunkt. Die Situation entspannt sich zunächst.
Die Körper formen sich zu einem Kugelfisch. Bewegen sich – am Kopf miteinander verwachsen – gemeinsam, unmöglich, sich voneinander zu lösen. Jetzt zeigt sich, dass die vorherige Angst, sich aufeinander einzulassen, nicht unbegründet war. Mal versucht der eine auszubrechen, mal der andere. Sie behindern sich gegenseitig, können sich nicht mehr eigenständig bewegen. „Was hat Liebe mit Kultur zu tun? Brei kaufen oder Liebe“, wurde gerade gefragt.
Dann finden sie Abstand, laufen zwar weiter umeinander herum, aber mit Abstand. Dieser Abstand ist jetzt genauso befreiend, wie es noch vor wenigen Minuten das Zusammenfinden war. Beziehungen wandeln sich. Beide bleiben erschöpft auf dem Boden liegen. Thema ist jetzt das Morbide: Distanz, Sterben, Tod. Hilflos sind die Bewegungen der Frau, sie beginnt zu frieren. Er auch. Sie suchen Nähe beieinander. Beginnen laut zu heulen oder zu weinen. Suchen Schutz beieinander. Zerren sich über den Boden und setzen sich aufeinander. Archaische Bilder, die von Verlassenheit zeugen.
Ein Stück im ewigen Dazwischen: zwischen Sprache und Bewegung, zwischen Mann und Frau, zwischen Natur und Kultur. Ein Spannungsfeld, das wir jeden Tag betreten und das uns ständig verändert. „Ein heiteres Gedicht“, kommentiert Martin Clausen.
„Halt mir meinen Platz frei, bis ich wieder da bin“ ist am morgigen Sonntag um 20 Uhr und am Montag um 19 Uhr in der Reithalle in der Schiffbauergasse zu sehen
Antje Stiebitz
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