Kultur: Ein Vergnügen
Wladimir Kaminer las im Lindenpark
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In der Pose eines Redners steht Wladimir Kaminer hinterm Mikrofon und berichtet lebhaft, mit herrlich russischem Akzent, durchweg Kurioses. Von hünenhaften Transvestiten etwa oder Navigationsgeräten mit den Stimmen Verstorbener. Was er zwischendrin vorliest, entscheidet er spontan. Beim Suchen lässt er sich Zeit. Und wenn dann ein Text „Kängurus“ heißt, spielt der in deutschen Wäldern und auf seiner berüchtigten „Russendisko“, an einem stacheldrahtumzäunten DJ-Pult. Mit dieser Mischung aus Stand-Up Comedy und Lesung gelingt es Kaminer am Freitagabend im Lindenpark vortrefflich, sein Publikum zu begeistern.
So erfahren die gut 200 Gäste an diesem Abend einiges über den Einfallsreichtum kaukasischer Dorfbewohner, die ihre Saunen tagelang vorheizen können und sich sogar ihrer Orangerien erfreuen, seitdem sie eine nahgelegene Eisenbahnstromleitung angezapft haben. Doch ist der Gratisstrom auch mit Nachteilen verbunden. Stets fängt man sich beim Händewaschen Stromschläge ein und erlebt oft, dass Flugzeuge über dem hell erleuchteten Ort schon zur Landung ansetzen wollen.
Es ist das Dorf Borodinowka im Nordkaukasus, wo die Verwandtschaft Kaminers lebt. Dieses Fleckchen ist nicht nur Schauplatz seines neuen Buchs „Meine kaukasische Schwiegermutter“, sondern auch eines Films, den er für Arte gedreht hat. Immerhin ein Anlass für die Dorfbewohner, ihre Kühe zu kämmen. Dass scheinbar kaum jemand im Publikum davon wusste, sei wohl der unerklärlichen nächtlichen Sendezeit geschuldet. Lässt sich nun Kaminer davon keineswegs entmutigen, so präsentiert er doch nur verhältnismäßig wenig aus seinem neuen Buch, liest stattdessen lieber andere, teilweise sogar unveröffentlichte Texte. Zudem ist er auch noch ein Meister im Abschweifen.
Da wühlt er in seinen losen Blättern, will die Geschichte „Schneetreiben“ zum Besten geben, entsinnt sich dann aber plötzlich eines sich nackt im Schnee wälzenden Dichterkollegen, der damit aller Welt die russische Seele zeigen wollte. Ausufernd macht er sich über das Chaosvokabular der deutschen TV-Meteorologen lustig, schwärmt von eiskalten Salzgurken und kommt plötzlich auf Bioläden zu sprechen, in denen es handgedrehte Makkaronis und Yucatan-Honig gebe, der jedoch selten sei, da die Bienenvölker immer ins Meer geweht würden. Erst dann liest er den angekündigten Text. Doch dringt bei aller scheinbaren Konzeptlosigkeit und Unbekümmertheit die Gegenüberstellung deutscher und russischer Gepflogenheiten immer wieder als Überthema durch. Hier zeigt sich Kaminers Beobachtungsgabe, sein überspitzter Blick für das Abstruse im Alltäglichen, das sich dank einer lakonischen, äußerst trockenen Sprache als Komik wunderbar entfalten kann. Und misst man es an der Stimmung im Publikum, gewinnen selbst Texte, die ein eher seichtes Leseerlebnis bescheren, dank der besonderen Vortragsweise Kaminers, erheblich an Unterhaltungswert hinzu.
Sei es nun also die Liebe zur Ordnung, zum Marschieren oder zur Ratgeberlektüre, die er den Deutschen attestiert, oder die Eigenbrötlerei seiner Landsleute, die bei Volkszählungen einfach die Tür nicht öffnen und lieber Bauernregeln statt Nachrichten hören wollen, immer werden solche Marotten mit sprühendem Aberwitz und unverkennbarem Augenzwinkern beschrieben. Entsprechend die Heiterkeit, als sich Wladimir Kaminer nach zwei Stunden artig verbeugt und sich für das Verständnis bedankt. Daniel Flügel
Daniel Flügel
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