Kultur: Ein Wühler
Klaus Wagenbach las im „Caffé 11-line“
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Er zeigte sich amüsiert über die anfänglichen Macken der Technik und machte seine Späße. So schien es, als hätte der ehrwürdige Greis Klaus Wagenbach sich am Dienstagabend eher beiläufig in das randvoll gefüllte „Caffé 11-line“ gemischt, um daselbst im Rahmen einer bundesweiten Bibliotheks-Aktionswoche aus seinem kürzlich erschienenen Erinnerungsbuch „Die Freiheit des Verlegers“ vorzulesen. Die quirlige Heiterkeit hielt an, allein die undurchschaubare und rätselhaft ausufernde Moderation des Journalisten Lothar Krone musste schließlich per Publikumszuruf unterbrochen werden, bevor der Ehrengast im Sessel endlich vollends zu Wort kommen konnte.
Er habe das Buch eigentlich nur auf Drängen seiner Frau Susanne Schüssler geschrieben, merkt der 80-Jährige leicht verschmitzt an. Anstelle einer sonst üblichen Geburtstags-Festschrift habe sie, die die Geschicke des 1964 in West-Berlin gegründeten Wagenbach Verlags heute lenkt, den Band herausgegeben. Er selbst sitze ja heute nur noch in einem Nebenzimmer an seiner Schreibmaschine und versuche sich als Pensionär eben nützlich zu machen, etwa bei empfindsamen Autoren und Übersetzern.
Schön, dass da auch Zeit für die Memoiren geblieben ist. Denn Wagenbachs autobiografisch angelegtes Buch, in dem überwiegend neue oder erstmals publizierte Texte aus fünf Jahrzehnten versammelt sind, liest sich wie der Rückblick auf ein ungewöhnliches Verlegerleben inmitten politisch turbulenter, unruhiger Zeiten und ist auch das Dokument eines Mutigen, dessen kompromissloses Verlagsprogramm sich fernab aller breiten Tendenzen bis heute behaupten konnte.
Den Gästen im „Caffé 11-line“ präsentierte Wagenbach Stichproben daraus, schlicht schöne, schnörkellose, oft heiter belustigende Momentaufnahmen, beginnend mit liebevollen Porträts seiner Mutter, die Uniformen nicht mochte, da sie selbst schon die Hosen anhatte, und seines Vaters, der der Nazipartei ebenfalls nichts abgewinnen konnte und sich nach dem Krieg, eines Tages, seinen lachenden Söhnen als Landrat vorstellte. Natürlich erinnerte sich Wagenbach, der sich selbstironisch gern die „dienstälteste Witwe Kafkas“ nennt, auch an den Moment, als ihm 1956, nach langer Recherche in Tschechien, plötzlich die Personalakte des Versicherungsbeamten Franz Kafka übergeben wird. Und als erklärter Italienliebhaber versäumte er es nicht, die Eigenheiten deutscher Urlauber in ein köstlich komisches Licht zu setzen. Als Freund der gepflegten Seitenhiebe machte sich Wagenbach an anderer Stelle über den heutigen Wolf Biermann lustig, dessen Buch „Drahtharfe“ er, allen Widerständen zum Trotz, einst drucken ließ. Immer wieder und gern vernahm man das wohlige Kichern Wagenbachs, wenn er etwa von vergangenen Sauftouren im alten West-Berlin schwärmte oder kurz von den Polizeirazzien in seinen Verlagsräumen berichtete und anschließend geradezu bübisch fragte, ob er noch einen Text lesen soll. Er war in Fahrt gekommen, las mit einer ruhigen, warm grollenden Stimme und untermalte das Ganze noch mit feinen Handgesten.
Gefragt, was es mit dem Wappentier seines Verlags, dem Kaninchen auf sich habe, antwortete Wagenbach wieder mit einem kurzen Text und einem fröhlichen Lob auf die Rammler. Karnickel seien eigentliche Anarchisten, sie lebten unbeeindruckt oft mitten in Großstädten und seien richtige Wühler, zudem wahre Überlebenskünstler. Klaus Wagenbach hat sich zweifellos viel von ihnen abgeschaut. Daniel Flügel
Daniel Flügel
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