zum Hauptinhalt

Kultur: Ein Zündholz für ein Lichter-Meer

Wie die Kaiserfamilie Weihnachten feierte – festlicher Zauber im bewaldeten Grottensaal des Neuen Palais

Stand:

Weihnachten bei der Kaiserfamilie: „Das Glockenzeichen ertönt. Die Doppeltür öffnet sich. Ein Lichtstrom flutet uns entgegen. Man glaubt sich versetzt in die Märchenwelt von Tausendundeiner Nacht.“ Lichterbesäte Weihnachtsbäume und Kristallkronleuchter – ein Meer von Kerzenlicht. Johannes Keßler kommt geradezu ins Schwärmen, auch angesichts der funkelnden Edelsteine und leuchtenden Muscheln, die den Grottensaal im Neuen Palais festlich verzaubern. Der einstige Prinzenerzieher bei Kaiser Wilhelm II. und späterer Hofprediger an der Potsdamer Garnisonkirche zeigte sich nicht nur über Lichterglanz, Gabenfülle und Edelsteingefunkel verzückt: „Es ist vielmehr die herzinnige Liebe, die strahlende Freude, welche die Herzen der Großen wie der Kleinen erfüllt... Man muß ihn gehört haben, den Jubel der Kaiserkinder, diesen siebenstimmigen Chor, der unter den sieben kleinen Weihnachtsbäumen laut ward...“

Ja, Kaiser Wilhelm II. und seine Familie wussten das christliche Fest, das um 1830 aus den Bürgerstuben auch in die Schlösser Einzug hielt, zu zelebrieren. Bei ihm zu Hause wurde nicht nur eine auserlesene Tanne geputzt, jedes Familienmitglied hatte seinen eigenen Baum. So standen neben den zwei stattlichen Kaisertannen sieben kleinere für die „Prinzen-Garde“: Jeder Baum so alt wie das jeweilige Kind - wird erzählt.

Schon drei Tage vor dem Heiligen Abend begann die sich stets wiederholende Zeremonie. Zwölf ovale Tische wurden in einem Raum der kaiserlichen Wohnung aufgestellt, um Platz für die zahlreichen Geschenke von Verwandten und anderen Königshäusern zu haben. Dann ersetzte die Dienerschaft im Grottensaal die wertvollen Teppiche durch abgetretene. „Besonders traulich und stimmungsvoll waren die letzten vorweihnachtlichen Abende, an denen die Majestäten eigenhändig die Christbäume schmückten und bei guter Hausmusik und beim Vorlesen eines Buches eine sehr fröhliche Weihnachtsstimmung aufglühte“, ist bei Keßler zu lesen. Um den Putz besonders gut zur Geltung zu bringen, wurden die drei mittleren Fenster des Saals mit einem schwarzen Tuch verhängt. Davor fand auf goldenen Säulen die Krippe Platz. Dann folgte die „Bewaldung“. Auch in die vier Brunnen des Saales stellte man Bäume, auf den Brunnenrändern legte man weiteres Grün. Der heutige Kastellan vom Schloss Oranienburg, Jörg Kirschstein, weiß die Geschichte der Hofdame Gräfin Keller zu erzählen, die 1905 beim Verzieren der Herrentische mit Pralinees aus Versehen in den Brunnen fiel. Vor lauter Grün hat sie das Becken gar nicht gesichtet. Die Kaiserin höchst persönlich legte ihr einen Notverband an, der Kaiser eilte mit Wasser herbei. Das Weihnachtsfest hatte sich für die Gräfin damit erledigt. Sie kurierte ihren Schmerz im Damenflügel aus.

Vor der Bescherung wurde um 16 Uhr im Apollosaal gespeist. Über das Menü gibt es keine Aufzeichnungen. Vielleicht war ja die vom Kronprinzen geliebte Kartoffelsuppe mit Bockwurst dabei. Pünktlich um 16. 45 Uhr marschierte die etwa 20-köpfige Gesellschaft durch die drei angestrahlten Räume in den lichtbekränzten „Winterwald“, der es mittlerweile auf eine Temperatur von zwölf Grad Celsius gebracht hatte.

Ein spektakuläres Schauspiel muss das Entzünden der Kerzen gewesen sein. Dank einer genialen Erfindung hatte man die Dochte aller Kerzen – sowohl auf den Kronleuchtern als auch an den Kaiser-Bäumen – so raffiniert miteinander verbunden, dass ein Streichholz genügte, um alle Kerzen in einem Zug zu entflammen. Da der Weihnachtsmann damals noch nicht erfunden war, wurden die Geschenke dem Christkind zugeschrieben. Zwar ist nicht genau überliefert, was sich in den vielen bunten Päckchen befand, doch anzunehmen ist, dass Hüte, Pelzmäntel, gerahmte Porträts und Porzellan darunter waren – Geschenke, die auch zu Geburtstagen gut ankamen, wie der Kaiserzeit-Experte Kirschstein weiß. Was den Prinzen zugedacht war, erzählt Johannes Keßler: „Da wurden die Soldatenschachteln geöffnet, die Uniformen angelegt, der Sportwagen im Saal ausprobiert. Mir selbst war es ein heimlicher Triumph, wenn die neuesten Schlager, die ich auf dem Berliner Weihnachtsmarkt entdeckt hatte, ein Hampelmann, ein Huppefrosch und dergleichen, mehr Eindruck machten als ein fürstliches Patengeschenk.“ Sogar ein richtig lebendiges Pony durfte zur Bescherung ins Schloss: allerdings nur ins Vestibül. Es war das Geschenk für Prinz Eitel Friedrich, dem zweiten Kaisersohn.

Rund eine Stunde war Zeit, um die Präsente auszupacken. Dann spazierte man ganz familiär durch den verschneiten Park von Sanssouci. Wie gut muss anschließend die heiße Suppe beim Souper um 20 Uhr im Apollosaal gemundet haben. Um 22.30 Uhr erloschen schließlich die Lichter im Palais, nun war der Heilige Abend ganz den eigenen Träumen vorbehalten.

Am Vormittag des 25. Dezembers ging die Familie geschlossen in den Gottesdienst: in die Friedenskirche oder in die Garnisonkirche, ganz wie der Oberhofmarschall es anordnete. Die wenigen angereisten Gäste machten sich im Laufe des Tages wieder auf die Heimreise. Nun hatte man Zeit, war ganz für sich: die letzten wenigen Tage im Jahr, um sich vom Regieren auszuruhen. Denn ab 1. Januar begann wieder die Hofsaison, Weihnachten und Sanssouci adé. Das Repräsentieren im Berliner Stadtschloss war angesagt. „Im Neuen Palais – abseits vom Lärm und Getriebe mitten im Grün idyllischer Ländlichkeit kam das Familienleben zu innigem Ausdruck; in Berlin trat mehr die repräsentative, glänzende Seite des Hofes hervor“, so Zeitzeuge Keßler.

Bis der Erste Weltkrieg seinen Kanonendonner entfachte und alles veränderte. Dann war es auch mit der von 1889 bis 1913 im Grottensaal so stimmungsvoll gefeierten Weihnacht vorbei. Nun wurden im Schloss Bellevue die Weihnachtskerzen aufgesteckt. In aller Bescheidenheit. Der große Glanz hatte ein Ende.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })