Kultur: Eindrucksvoll
Des Zaren Nachtigall im Schlosstheater
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Was gäben manche ehrgeizigen Eltern darum, den Stimmbruch ihres Sprösslings zu verhindern, um die schöne Knabenstimme in Sopran- oder Altlage für alle Zeiten erhalten zu können? Die italienische Spezialität der Knabenkastration machte es einst möglich. Das Ergebnis? Den berühmtesten Kastratenstar Farinelli kennt mancher aus dem gleichnamigen Film, Senesino, eitler Händel-Protagonist, vielleicht aus dem Anekdotenschatz der Musikgeschichte. Aber Filippo Balatri? Nie gehört. Der hatte über sein bewegtes Sängerleben ausführlich Tagebuch geführt. Christiane Wunnicke hat dessen Autobiografie übersetzt und daraus einen Text destilliert, in dem Balatris O-Töne mit Musikhistorie gar wundersam verwoben sind. Für eine musikalische Lesung bestens geeignet.
Mimin Corinna Harfouch, Altistin Britta Schwarz und Theorbenspezialist Stefan Maas verwandelten diese Vorlage, ohne großen szenischen Aufwand, in ein packendes musikalisches Welttheater unter dem Titel „Die Nachtigall des Zaren“. Am Freitag ging es im Rahmen der 20. Potsdamer Hofkonzerte über die Bretter des Schlosstheaters im Neuen Palais. Gleichsam aus dem Dunkel der Vergangenheit erklingt auf rabenschwarzer Bühne eine gezupfte Melodie. Zu ihr gesellen sich eine einprägsame Erzählstimme und ein extrem leiser „Salve“-Gesang. Langsam wird es hell, man erblickt die Protagonisten – allesamt sitzend, wobei die Schauspielerin auf einem schwarz betuchten Treppentorso thront.
Ein gelungener Einstieg in die Lebensgeschichte Balatris, der 1676 in einem Dorf bei Pisa geboren wird, im Kirchenchor seinen leuchtenden Sopran ertönen lässt, auf Drängen des Maestro vom Vater zu einem jener „Engelmacher“ gebracht, „die mit Schnitten gewissermaßen aus einem Lamm einen Hammel machen“, so Balatri später. Gegen Ende seiner Karriere wird er für 15 Jahre Mitglied der bayerischen Hofkapelle, tritt in ein Kloster ein, liest mit 63 als Fra Theodoro seine erste Messe, stirbt dort achtzigjährig. Doch der Reihe nach. Der neu geschaffene Kastrat geht an den Hof von Cosimo de Medici in Florenz, wird vom russischen Fürsten Pjotr Galizin, der auf Künstlereinkaufstour für Peter den Großen ist, mit nach Russland genommen. Reiseeindrücke von unterwegs, vom Leben bei den Moskowitern und dem Zaren runden die Erlebnisse, wozu noch Stationen in Frankreich, Deutschland und England gehören, zum aufregenden Sittenbild. Zumal die Harfouch sich das Ganze modulationsreich auf der Zunge und den Stimmbändern zergehen lässt. Mit sparsamen Blicken, Gesten und Änderungen der Körperhaltung sorgt sie für enorme Spannung. Sie erweist sich als Komödiantin, die Pointen treffsicher setzt, köstlich Geräusche imitiert, sich zum Sarabandensitztanz animiert fühlt.
Ein nicht weniger großes Vergnügen bereitet die Altistin mit gesanglichen „Zäsuren“ aus der Feder von Händel, Marcello, Bassani, Weiss und Vivaldi, die den Text gliedern, Atmosphäre verbreiten. Stilkundig meistert sie die Affekte. Ihre wandlungsreiche, ausdrucksintensive, ebenmäßig geführte und warm timbrierte Stimme vermag die Seele zu rühren. Unterstützung erfährt sie dabei durch die kunstvolle, sehr differenzierte Zupfarbeit auf der Theorbe. Sind schon die Zutaten allein vom Feinsten, ergibt ihre innige Verschmelzung eine neue Form des Genusses, der eben mehr ist als die Summe ihrer Einzelteile. Langsam verlischt die Szene wieder im Dunkel der Vergangenheit. Die Konzeption ist aufgegangen, Der Beifall gerät heftig. Peter Buske
Peter Buske
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