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Kultur: Eine aktuelle Dimension

Frank Martins Oratorium „In terra pax“ und Worte von Friedrich Schorlemmer in einem Universitätskonzert im Nikolaisaal

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Frank Martins Oratorium „In terra pax“ und Worte von Friedrich Schorlemmer in einem Universitätskonzert im Nikolaisaal Befand man sich in einer Kathedrale oder im Nikolaissaal zu Potsdam, im 21. oder im 16. Jahrhundert, etwa zu Zeiten Martin Luthers? Historische Grenzen und räumliche Befestigungen verblassten bei der Aufführung des Friedensoratoriums „In terra pax“ von Frank Martin. Das zum Ende des zweiten Weltkrieges komponierte „Oratorio breve“ erlebte eine denkwürdige Aufführung durch die vocal-concertisten Berlin, den Chor der Universität Potsdam „campus cantabile“ und die Mecklenburger Kammersolisten unter der Leitung von Prof. Kristian Commichau. Mehr noch als die Musik allein, hatte wohl der Auftritt von Friedrich Schorlemmer die zahlreichen Zuhörer in den fast ausverkauften Nikolaisaal gezogen. Der Wittenberger Theologe, Pazifist und inspirierte „Wende“-Denker trug mit lutherischer Sprachgewalt neue Meditationen zum Thema „Krieg und Frieden“ vor. Nachdem sechs Jahre lang in Europa und der Welt der Krieg gewütet hatte, läutete das Oratorium „In terra pax“ am Tag des Waffenstillstandes, dem 7. Mai 1945, in Genf den Frieden ein. Komponiert hatte es - als Auftragswerk von Radio Genf - der Schweizer Komponist Frank Martin, das zehnte Kind eines calvinistischen Pfarrers. Chormusik und textgebundene Musik sind Schwerpunkte innerhalb seines reichhaltigen Oeuvres, das sich durch modifizierte Zwölftontechnik, wuchtige Archaik und einen spezifisch herben, kantigen Gestus auszeichnet. Auch das Oratorium, das über frei zusammengestellte Texte aus dem alten und dem neuen Testament geschrieben wurde, verbreitet musikalische Strenge und spricht mit calvinistisch-puritanischem Ernst von den Schrecken des Krieges als Äußerung von Gottes Zorn ebenso wie von der erlösenden Botschaft Christi. Den Gesangssolisten kommen überwiegend – hochdifferenzierte – rezitativisch-deklamatorische Aufgaben zu, melodische Bruchstücke finden sich eher in den überwältigenden Chorpartien – das Kriegsende war kein Anlass für fröhliche Lieder. Bariton Raimund Nolte gab seiner ausgedehnten Partie im ersten und im letzten Teil tonlich und artikulatorisch ausgereifte, ausdruckssvolle Stimmpräsenz. Für die zentralen Verkündigungs- und Gebetsbotschaften hatte Frank Martin eine Alt-Stimme ausgesucht. Die junge Sängerin Britta Schwarz überzeugte mit fantastischer Stimmführung und trefflichem Timbre, das sich hervorragend in den genialen dritten Teil einpasste. Als Passacaglia angelegt, mit zahlreichen Reminiszenzen an J. S. Bach wird hier der moralische Widerstand gegen die Vernichtungswellen mit kontrapunktischen und akkordischen Mitteln spannungsreich musikalisch verbildlicht. In der Solostimme lag ein musikalisches „trotzdem“, das klar und deutlich gegen Zerstörung, Vernichtung und für ein neues Leben eintritt. Dem schloss sich der große, breitflächige Chor aus vocal-concertisten und Campus cantibile mit einem hingebungsvollen „Vater Unser“ an. Johanna Krumin, Sopran, sowie Mark Adler, Tenor, Ekkehard Abele, Bass bewährten sich in ihren – kleineren – Partien ebenso wie die Mecklungenburger Kammersolisten. Einfach großartig war die Idee, Text und Musik durch Friedrich Schorlemmer aktuelle Dimensionen zu geben. In seinen Texten sparte der Wittenberger, der als Prediger an der Schlosskirche die Nachfolge Luthers innehat, nicht mit deutlichen Worten, auch wenn es ihm, wie er zugab, nicht leicht fiel, neben der Musik zu bestehen. Von den Vernichtungszügen der deutschen Wehrmacht – beschrieben in Briefen seines eigenen Vaters – bis zu den aktuellsten Kriegsabgründen führte er wortgewaltig die lebensfeindlichen Kräfte vor, dazu zählte er auch die psychische „Innenweltvergiftung“ durch gewaltverbreitende Medien. Nach Ausflügen zu J.F. Kennedy: „Ich spreche von Frieden als dem vernünftigen Ziel vernünftiger Menschen“ und zu Martin Luther King gab Friedrich Schorlemmer den Zuhörern noch kleine Worte zum täglichen Gebrauch mit auf den Weg. Wohl selten findet sich heute ein Geistlicher, der den Menschen mit solcher Selbstverständlichkeit schlichte moralische Ratschläge für den kleinen und den großen Frieden erteilt. Das ergriffene Publikum dankte mit langanhaltenden Beifall für einen außergewöhnlichen Abend. Babette Kaiserkern

Babette Kaiserkern

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