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Kultur: Eine Annäherung

Summerendsession und Release Party

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Summerendsession und Release Party Der Latte Macchiato hat Deutschland in den letzten Jahren sehr verändert, auch Potsdam. Entscheidend an der Veränderung ist nicht, dass der Milchkaffee nun plötzlich in einem Glas serviert wurde, sondern vielmehr, dass sich eine Genießerkultur entwickelte. Ihre extremste Form findet sich in der Stadt im bagels & coffee, oder gerne auch Schaufenster genannt. Wie vor kurzer Zeit noch die Luxusgüter des Hauses Joop, sonnt man sich hinter der langen Glasfront unter dem Vorwand, einen schnellen Kaffee zu trinken. Eigentlich geht es jedoch darum, Mitgliedschaft zur städtischen jeunesse dorée zu bekunden. Es gilt, sowohl den Blicken, die von der Straße hinein fallen, genauso selbstbewusst zu begegnen, wie denen der anderen Gäste. Das „Bagels“ ist ein Aquarium voll eigener und fremder Eitelkeiten, die man sich tagsüber genau für die Dauer eines Latte Macchiatos zu genießen erlaubt. Am Freitag Abend nun erlebte das „Bagels“ eine Premiere. Die „Summerendsession“ sollte die quirlige, auf das Schauen und Beobachten gerichtete Milchschaumschlürferstimmung des Tages in einen Nachtclub transformieren. So richtig gelingen wollte das jedoch nicht, trotz des hochwertigen Original-Soul und R & Bs von Djane Anne. Die Nacht hatte der geschäftigen Oberfläche ihren Glanz genommen, sie zeichnete dunkle Schatten auf die jungen, sonst so strahlenden Gesichter. Sie sollten plötzlich innehalten und bei sich sein, wo am Tage noch ihre Blicke und Gedanken umherschweifen konnten. Wie zeitgleich im Bagels, versuchte sich in der fabrik ein anderes Potsdamer Milieu ebenfalls in neuen Formen. Dort lud das soeben erstmalig erschienene links-progressive Stadtmagazin krul zur Eröffnungsparty, deren Einnahmen die Herausgabe des nächsten Heftes zu sichern hatten. Passend zu der dem grafischen Zeitgeist entsprechenden, gelungenen Erscheinung des Heftes besetzte die sonst im Stadtbild an den Rand gedrängte alternative Independent- und Subkultur mit der fabrik am Kulturstandort Schiffbauergasse einen Ort, der wie kein anderer für das Potsdam der Zukunft steht. Wenn also parallel die „goldene Jugend“ vorsichtig ihre Authentizität und Ausdauer für die Nacht überprüft, und nicht weit davon entfernt genauso zaghaft Linksalternative ihren Auftritt auf der Bühne des kulturellen Establishments proben, dann kann das auch als Zeichen gedeutet werden, dass die beiden gegensätzlichsten Potsdamer Gruppen in dieser Nacht einen Schritt aufeinander zu gemacht haben. Freilich zunächst ohne es zu wissen. Matthias Hassenpflug

Matthias Hassenpflug

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