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Kultur: Eine Apologetin argentinischer Kunst

Hanna Schygulla bot im Nikolaisaal einen besonderen Tangoabend

Stand:

Hanna Schygulla bot im Nikolaisaal einen besonderen Tangoabend Von Babette Kaiserkern Ein Rauchsignal eröffnete Hanna Schygullas Soloabend über den Tango und den argentinischen Dichter Jorge Luis Borges. Vor der im schwarzen Halbrund abgehängten Bühne des Nikolaisaals stehen ein Flügel, ein Spiegel, ein Mikrophon. Schnell eilen zwei schwarz gekleidete Herren herbei und bringen an Klavier und Cello zuckende Rhythmen und gleißende Klänge hervor. Ihre Version des Tangos „El choclo“ gibt die Tonlage des Abends vor – gedehnt, gerafft, fragmentiert und ziseliert, ekstatisch und dramatisch. Wieder steigt Rauch auf, Hanna Schygulla erscheint als ganz in dunkles Rot gekleidete Diva und wedelt die Schwaden mit einem Lächeln weg, als wollte sie sich von derartigem Theaterzauber distanzieren. Doch gleich beginnt sie ohne Umschweife mit einigen spanischen Worten, erfüllt mit unerwartet voller, sonorer Stimme den gut gefüllten Saal, deklamiert, rezitiert, singt weniger, als dass sie melodische Bruchstücke hervorstößt. Traditionelle Tangoklassiker verschmelzen mit Texten von Jorge Luis Borges zu überraschenden Einheiten. Wer gekommen war, um ein paar Tangos und etwas von Borges zu hören, ist womöglich enttäuscht. Mit philologischem Feingefühl, literarischer Leidenschaft und viel künstlerischer Freiheit hat Hanna Schygulla aus Musik und Text neue Gebilde geschaffen, sehr persönlich und speziell. Es ist erstaunlich, wie die Schauspielerin Tangos aus der sogenannten „Populärkultur“ mit ausgewählten, teilweise hochgelehrten Texten von Borges nicht bloß alternierend vorträgt, sondern inhaltlich zusammenfügt. Die Erzählung „Der Gefangene“, eigentlich eine Paraphrase auf die biblische Geschichte vom verlorenen Sohn, geht mit dem Tango „Volver“ eine virtuose Symbiose ein, „das Scheinbild“, ein sarkastischer Text über die quasi Heiligenverehrung, die Evita Perón, die Ehefrau des von Borges verhassten Diktators Juan Perón, vom Volk erfahren hat, verflechtet Hanna Schygulla mit dem Tango „Cuesta abajo“, in dem es um tiefste Seelenabgründe geht. Sie tut dies fragmentarisch, ironisierend, blendet das Gefühl aus, setzt dafür Brüchigkeit ein. Die große dramatische Kurve, die gefühlvolle Linie leuchtet gelegentlich auf wie das Zitat eines musikalischen Diskurses. Dass dieser Gesangsduktus nicht der ihre ist, macht Hanna Schygulla deutlich, und fügt ihn doch zugleich auf intellektuelle Weise in ihren Soloabend ein. Ungewöhnlich statisch ist ihr Auftritt, kaum eine Bewegung erfolgt, erst nach der Pause erscheint die Schauspielerin lockerer, doch der Schwerpunkt liegt auf dem Erzählen und postmodernen Verfremden. Wie Hanna Schygulla die „Episode vom Feind“, eine Kurzgeschichte von alttestamentarischer Wucht und desillusionierendem Spott, mit dem abgrundtiefen Weltschmerz von „La última cuerda“ verschmilzt, ist einzigartig und hochartifiziell. Dieser auch äußerlich recht unnahbaren Darstellungsweise folgen zu können, setzt einiges an Vorkenntnissen voraus, aber wer gekommen war, um die Diva des Autorenfilms als Apologetin argentinischer Literatur und Musik zu erleben, der wurde belohnt. Als besonderer Tangomaniac erwies sich der Musiker Peter Ludwig, der als federführendes Mitglied des Tango-Duos Immortale seit fünfzehn Jahren für seine eigenwilligen Tangoversionen bekannt. Gemeinsam mit dem Cellisten Peter Wöpke fügte er den klassischen und seinen eigenen Tangos soviel ekstatischen Furor, elegische Erregung, dramatische Knoten ein, wie es geboten war – die kongeniale Abrundung eines außergewöhnlichen Abends.

Babette Kaiserkern

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