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Kultur: Eine Aussöhnung gibt es nicht

Ballettstudio Marita Erxleben präsentiert „Romeo und Julia“ im Hans Otto Theater / Inszenierung enthusiastisch gefeiert

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Kann klassisches Ballett heute noch aufregend sein, auch und besonders für junge Leute? Sicherlich – wenn sie sich in den vorgezeigten Geschichten wieder erkennen. Wie beispielsweise in der zeitlos gültigen, von Sergej Prokofjew kongenial vertonten Shakespeareschen Liebestragödie von „Romeo und Julia“. Da gibt es zwei verfeindete Patrizierfamilien, hochnäsig und herrschsüchtig, die wenig bis nichts von ihren Kindern wissen. Dazu kraftprotzende Sprösslinge, die als Straßengangs sich gegenseitig provozieren, miteinander raufen, ihre Grenzen ausreizen wollen. Wie im real existierenden Leben.

Dass die Geschichte der Liebenden von Verona auch in der Gegenwart funktioniert, zeigt (nach Bernsteins berühmter „West Side Story“) die Tanzpädagogin und Choreografin Marita Erxleben in ihrer originalnahen, im Hans Otto Theater eineinhalbstündigen, pausenlos ablaufenden Ballettadaption auf geradezu auf beeindruckende, geradezu atemberaubende Weise vor .

Konsequent hat sie die Vorlage modernisiert, ohne dass es brechstangengewollt wirken würde. Man ist in Gänze in der Gegenwart und von ihr gefangen. Das Renaissance-Verona findet nur beim Capulet“schen Maskenfest statt. Mitunter fühlt man sich geradezu in einen Actionfilm versetzt. Der beginnt mit einem auf den Gazevorhang projizierten Vorspann: dem Vorzeigen der Personage. Nichts als ein vielfach verstrebtes, unterschiedlich hohes Baugerüst mit verschiebbaren Treppenanbauten beherrscht die leere Bühne (Alexandra Hahn). Auf, an und in diesem Gestänge wird akrobatisch gehangelt, gesprungen, gerannt. Die Männer tragen Jeans, T-Shirts und Kapuzenjacken, die Frauen gleichfalls modernen Modemix. Man geht betont lässig, gibt sich machohaft. Es wird gebreakdanct, was das Zeug hält

Aber es wird auch im klassischen Ballettkostüm nach akademischem Vokabular auf Spitze getanzt. Dazu gesellt sich Hip-Hop, Jazzdance, bodengymnastische Kraftakrobatik, Kampfsportelemente, ein wenig Kung Fu. Faszinierend, wie diese Stilmischung funktioniert und viel von gruppensozialem Verhalten erzählt. Die Begrüßungsrituale sind der Straße abgesehen. Wenn Julia (selbstbewusst, anmutig und quirlig: Ellen Lehmann) aus jugendlichem Überschwang ein Solo tanzt, scheint sie die dazugehörende Musik aus ihrem MP3-Player per Ohrstöpsel zu hören. Zeitgeist, der überhaupt nicht gewollt oder aufgesetzt wirkt. Hier passt alles auf wunderbare Weise zusammen. Und noch etwas enthüllt das jüngste Erxlebensche Projekt: den exzellent miteinander harmonisierenden Profis und Laien wurde nichts antrainiert, was nicht Ausdruck ihrer ureigensten Befindlichkeiten wäre. So entsteht Glaubwürdigkeit von der Bühne herab, die – witzig, einfallsreich und tempogeladen inszeniert – „unten“ ankommt.

Die Ausdruckskraft der Tänzerinnen und Tänzer des Ballettstudios von Marita Erxleben ist enorm. Größtenteils sportiv geht es zur Sache. Da wird nicht aristokratisch gefochten, sondern das Messer gezückt und zugestochen. Der Bösewicht Tybalt (fantastisch intensiv: Profi-Breakdancer Hawk), der Provokateur Mercutio (Christian Karth) aus der Romeo-Gang und Prinz Paris (herrlich selbstverliebt: Raimund Widra) erfahren es körpernah. Als Romeo beherrscht Maik Müller nahezu ideal die Spannweite von Zärtlichkeit bis Aggression – ein agiler Kraftathlet voller Charme. Inhaltlich aufgewertet sind die Rollen des Pater Lorenzo (Kaspar von Erffa) und von Julias Amme, der Johanna Schade eine gleichaltrige, herrlich kesse Freundin ist. Für noch eine Vorstellung sitzt das Deutsche Filmorchester Babelsberg unter Leitung von Jörg Iwer livehaftig im Orchestergraben, dann erklingt sein schwungvolles, flexibles, sich des Aufblühens weitgehend versagendes Musizieren nur noch als Bandeinspiel. Alle Beteiligten wurden jugendgemäß enthusiastisch gefeiert. Kann klassisches Ballett aufregend sein!

Peter Buske

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