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Kultur: Eine brillante Melange

Novellen von Maupassant und französische Bläsertrios in der Soiree im Alten Rathaus

Novellen von Maupassant und französische Bläsertrios in der Soiree im Alten Rathaus Der Gattin eines kleinen Verwaltungsbeamten im Paris erging es einst wie der Frau vom Fischer im Märchen. Was Mathilde hatte, genügte ihr nicht, was sie war, noch viel weniger. In bescheidenen Verhältnissen lebend, träumte sie von der Welt der Reichen und Schönen, träumte von Luxus und Geld. So litt sie natürlich schrecklich, bis ihr Mann eine der begehrten Einladungen zum Empfang im Unterrichtsministerium ergatterte, für ihn und die Gattin. Das Unheil begann. Gab er ihr viel Geld für ein Kleid, so fehlte der Schmuck. Als er ihr riet, denselben bei ihrer vermögenden Freundin zu leihen, war ihr wieder nicht genug, was diese ihren Augen vorlegte. Nein, es musste das Brillant-Halsband sein, und nichts anderes – was man innen nicht hat, das muss man eben außen dranhängen. Man ahnt den Fortgang. Beim Ball erwarb sie die ersehnte Aufmerksamkeit, auf dem Rückweg ging dafür das kostbare Ding verloren. Zehn Jahre in Armut und Elend brauchte das Paar, um das Ersatzstück auf Zins und Zinseszins getreulich abzuzahlen. Diese herrliche Geschichte von Guy de Maupassant (1850-1893) war einer von zwei „französischen Texten“, welche am Sonntag im Rahmen einer hinreißenden Veranstaltung im Alten Rathaus zu hören waren. Wieder einmal lud der „Verein zur Förderung musikalisch-literarischer Soireen im Alten Rathaus" in Kooperation mit der Künstlerinitiative „die neue brücke“ ein, mit nicht besonders bestem Besuch. Das schöne Frühlingswetter im neuen Grün von Potsdam und andere Kulturangebote stahlen wohl diesem Kleinod ein bisschen die Schau. Dabei war alles so leicht und so schön. Klaus Büstrin brillierte diesmal als ganz exzellenter Vorleser zweier sehr unterschiedlicher Novellen von Maupassant, auch musikalisch war die Kost vom Feinsten. Jacques Ibert (1890-1962) und Darius Milhaud (1892-1974) sollten die Lesung mit Stücken für Holzbläser leicht und flockig begleiten, was auch geschah, obwohl sich im Vorfeld ein paar Umbesetzungen nötig machten. So kamen, mit nur einer Probe, Gerhard Vallant (Oboe), Dieter Velte (Klarinette) und Sebastian Pietsch (Fagott) als „Pietsch-Trio“ auf Zeit zum Einsatz, welchem man viele weitere wünschen möchte. Alternierend zur zweigeteilten Lesung der „Halsband“-Novelle erklang Milhauds sehr eingängige Suite d“aprés Corrette op. 161, bei deren Entrée sich das Musikzimmer des Alten Rathauses und eine etwas scharfe Klarinette so gut nicht vertrugen. Alle anderen Parts waren von großer Präzision und schöner Ausdruckskraft geprägt, auch das temporär eher exotische, inhaltlich aber ganz dazugehörige Trio op. 87 von Ludwig van Beethoven, dessen Andante und Rondo den ersten Teil in die Pause entließ. Doch was geschah mit Mathilde? Ein Wunder – es stellte sich nämlich heraus, dass die erborgten Brillanten preiswerte Duplikate waren. Für alles muss man im Leben bezahlen, besonders den Hochmut. Nachdem es sich der noble Veranstalter nicht hatte nehmen lassen, seine Gäste mit einem Freigetränk zu erfreuen, folgte die skurrile Novelle „Toine“, gleichfalls von Maupassant, eine von über 300, die er, neben Romanen, in nur einem Jahrzehnt verfasste, bevor er in geistiger Umnachtung versank. Hier ist es der gutmütige Schnapshersteller Antoine, welcher bezahlt, der dickste Mann weit und breit, ein Polterkopf und Trinker aus Überzeugung. Wie seine „käuzchenäugige“ Frau voraussah, traf ihn deshalb der Schlag, er wurde ein Pflegefall im Bette. Aber das normannische Flintenweib, ihm solche „Muße“ neidend, gebot ihm, unter seinen fettigen Armen Eier auszubrüten, wie die Glucke ihre Küchlein. Im Weigerungsfall drohte, gemäß dem Titel dieser Soiree „Wer keine Eier brütet, bekommt auch keine Suppe" – Nahrungsentzug. Ähnlichkeiten mit dem barbarischen Ausspruch Lenins („Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“) sind sicherlich Zufall, oder sollte der russische Bösewicht etwa Maupassants „Toine“ gelesen haben? Wer weiß. Dieser jedenfalls fügte sich unter der Anteilnahme des gesamten Weilers, bis alle Küken schlüpfen. So hübsch das mit Biss geschrieben ist, so hinreißend las es Klaus Büstrin, ohne Übertreibung: Besser ging''s nicht. Dazu erklang, gleichfalls mit französischem Esprit, Iberts „Cinq Pièces en Trio“, in vier Teilen. Beide Compositeure verschmelzen ja klassische und moderne Elemente zu einer wohlklingenden Synthese, als wär“s aus einem gemacht. Fabelhaft. In den Gesichtern des Publikums sah man die Wirkung dieser brillanten Melange aus „leichter“ Musik und Weltliteratur: Man ging beschwingt und voll der Heiterkeit ins milde Abendsonnenlicht davon. Gerold Paul

Gerold Paul

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