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Kultur: Eine „fabulos fiesta“

Rasantes Weltmusik-Open Air im Lindenpark begeisterte

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Rasantes Weltmusik-Open Air im Lindenpark begeisterte Wenn ein bunt gemischter dreizehnköpfiger Haufen Gypsis aus allen Ecken die Bühne des Lindenparks überschwemmt und eine wahrhaft abgedrehte Mischung Weltmusikpolka aus Flamenco, Swing und Balkanfolklore zum Besten gibt, dann muss das einfach ins Bein gehen. Berlin, die Multikulti-Hauptstadt, ist das Hauptquartier jener Unikate von Welt. Was vor über einem Jahr als Charity-Projekt für einen schwer erkrankten Freund begann, ist zu einem Stilmix aus Theater und Musik mit dem Namen „Casino Gitano“ geworden. Die einzelnen Bandmitglieder verwischen ihre Spuren und erfinden sich mit etwas Schuhcreme im Gesicht, Perücken und bunten Kostümen als Zigeuner aller Herren Länder neu. Das Duo Sancho und Pancho mit ihren Holzgitarren sind der Kern der Band. Sie behaupten, sie wären andalusische Brüder. Ein knackiger Bläsersatz mit einem charmant phlegmatischen Tubaspieler namens Franky flankiert sie auf der rechten Seite, während sich links eine schwedische Geigerin, ein französischer Akkordeonspieler und ein mexikanischer Kontrabassist auf die Bühne drängen. Der Platz wird etwas knapp, denn auch die beiden spanischen Tänzerinnen Carmen und Christina Rodriguez müssen Platz haben, um das Publikum mit ihren wirbelnden Flamencokleidern anzuheizen. Auch Lubi, wahrscheinlich ein Serbe, findet noch ein wenig Raum, um einerseits als alter Opa mit weißhaariger Perücke den Röcken hinterher zu jagen und andererseits mit der Diva Ivana so manchen heißen Stepp aufs Parkett zu legen. Letztere gilt als temperamentvolle Nachfahre Ivan, „des Schrecklichen“. Doch ob all die Geschichten um die einzelnen Bandmitglieder stimmen, darauf kann sich keiner im Publikum verlassen. Sie erleben eine einstündige „fabulos fiesta“, die Lust auf mehr macht. Lediglich Franky kommt nicht ins Schwitzen. Er lächelt still über seine Bandkollegen, die zwischen den Liedern auf Spanisch wild durcheinander schnattern und mit dem Cover von „Nah neh nah“ eine umjubelte Zugabe geben. Wahrscheinlich bleibt er auch unaufgeregt, als danach „Panteón Rococó“ aus Mexico-City den gut gefüllten Lindenpark vollends in einen Hexenkessel verwandeln. Ska, Reggae, Punk und südamerikanische Rhythmen werden von den elf Mexikanern zu einem groovenden Sound vereint. Zwei Percussionisten unterstützen einen Schlagzeuger, der die Bläsersektion und die beiden Dreadlock-Gitarristen antreibt. Bassist und Keyboarder geben da den ruhenden Pol auf der Bühne, wo Sänger Luiz unermüdlich seine sozialkritischen Texte in einer irrsinnigen Geschwindigkeit auf Spanisch rappt. Man musste sich fragen, woher er die Luft dafür nimmt, zumal er quer über die Bühne turnt und das buntgemischte Publikum anheizt. Gestenreich intoniert er die Lieder, deren Texte die Wenigsten verstehen. Doch der Latin-Ska ist trotz seines politischen Anspruchs wie geschaffen für eine ausgelassene „fiesta“. Als Unterstützer der Zapatistenbewegung im heimischen Mexiko haben sich Panteón Rococó in kurzer Zeit durch unermüdliches Touren eine große Fangemeinde in der alternativen Szene erarbeitet. Neuerdings wandeln sie aber zwischen Underground und Mainstream umher, denn selbst für einen MTV Latin Music Award waren sie im vergangenen Jahr nominiert. Ohne große Pause zwischen den Liedern spielen sie ihr rasantes und balladenfreies Set herunter und lassen, wie im letzten Sommer, ein Potsdam zurück, das nach mehr giert.Patrick Steller

Patrick Steller

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