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Vergegenwärtigung. Die Theatergruppe Poetenpack hat den klassischen Stoff von Lessings „Minna von Barnhelm“ auf einen Campingplatz der Gegenwart geholt.

© Andreas Klaer

Kultur: Eine Frage der Ehre

Poetenpack bringt eine so lustige wie brisante Inszenierung der „Minna von Barnhelm“ auf die Bühne

Stand:

Es gibt ein paar Krusten, die konnten bisher von keiner Welle des Feminismus aufgeweicht werden. Dieser dringende Wunsch vieler Männer, sich wenn schon nicht allen, so doch wenigstens einer, nämlich ihrer Frau, überlegen zu fühlen. Nicht unbedingt geistig, aber doch bitte finanziell. Oder körperlich. Denn: Auch unter dem Deckmantel des Beschützers könne man gut unterdrücken, sagen Gender-Forscher. Was da mit hineinspiele, sei der archaische Trieb der Ehre. Wer nicht glauben mag, dass das alles auch heute noch in den Beziehungen virulent ist, sollte sich die „Minna von Barnhelm“-Inszenierung des Poetenpacks ansehen, die am 17. Juli im Q-Hof Premiere feiert.

Der Witz an der Sache: Gotthold Ephraim Lessing schrieb das Stück kurz nach dem Siebenjährigen Krieg, 1767 wurde es uraufgeführt. Und auch wenn er – vielleicht um die Zensur zu umgehen – ein heiteres Lustspiel aus der Geschichte um die Beziehung zwischen Minna und dem Major von Tellheim gestrickt hat, ist klar, dass er eine Verbindung sah zwischen diesem abstrusen Ehrbegriff und der schwachen Position von Frauen. Das gute Ende, das er seiner Story verpasste, liest sich nicht zwangsläufig aus dem Text heraus. Das findet auch Andreas Hueck, der Tellheim spielt.

Tellheim, so geht die Geschichte, ist nach dem Krieg an Körper und Seele verwundet und außerdem unehrenhaft aus der preußischen Armee entlassen. Ihm wird Bestechung vorgeworfen, denn anstatt in Thüringen die höchstmöglichen Kriegskontributionen einzutreiben, hat er eine Art Marshallplan aufgestellt: Er hat sich mit den besiegten Feinden auf die kleinstmögliche Summe geeinigt und das Geld zudem aus eigener Tasche gegen Aushändigung eines Schuldscheins vorgeschossen. Jetzt ist er hoch verschuldet und wartet auf seinen Prozess.

Seine Verlobte Minna hingegen hat Geld – doch anstatt sich von ihr helfen zu lassen, bricht er den Kontakt ab. Vernunft und Notwendigkeit würden ihm befehlen, Minna zu vergessen. So feige lässt sich Minna nicht abspeisen. Sie liebt Tellheim natürlich völlig ungeachtet seiner aktuellen Probleme, hat ihn wie verrückt vermisst und sich während des Krieges deshalb – wenn man so will – ins Partyleben gestürzt, in einer Art Rauschzustand. Das ist nicht das einzig Moderne an dieser ersten wirklich starken Frauengestalt der deutschen Theatergeschichte.

Und hier hat Ausstatterin Janet Kirsten angesetzt und das Stück mit einer schönen Idee in die Gegenwart geholt: Die meisten Szenen – bei Lessing in einem Wirtshaus angesiedelt – spielen auf einem Campingplatz. Für Minna, Tochter aus gutem Hause, ist es eher ein Abenteuer, auf der Suche nach Tellheim dort abzusteigen, angeschickert und kichernd sitzt sie mit ihrer Freundin und Kammerfrau Franziska auf klapprigen Liegestühlen. Bei reichlich Sekt planen sie das weitere Vorgehen bei ihrer Suche nach dem so schweigsam gewordenen Tellheim.

Und da reicht nur eine Szene, um klarzumachen, wie stark die Frauen bei Lessing tatsächlich sind. Denn während Tellheim sich, an Selbstwert und Stolz gekränkt, leidend zurückzieht, kann Minna sich, trotz aller Sehnsucht, noch immer amüsieren. Breitbeinig flätzt sich Sophie Lochmann, die die Minna beim Poetenpack spielt, im Liegestuhl, lutscht einen Lolli und spült mit Sekt nach. Sie veralbert den Campingplatz-Leiter wegen seiner peniblen Fragerei, lässt dabei ihren sächsischen Dialekt spielen und ist überhaupt guter Dinge. „Mein Herz sagt mir, meine Reise wird glücklich enden“, sagt sie zu Franziska (Simone Kabst). Die ist ein bisschen abgeklärter, aber umso cooler: „Das Herz plaudert uns gern nach dem Munde.“

Den Text hat Regisseur Michael Neuwirth bei aller Aktualität des Stoffes nicht angerührt, ihn nicht um ein Wort verändert. Verblüffend war, sagen die Schauspieler, wie der doch stellenweise steife, vom heutigen Sprachgebrauch entfernte Text unter dem Einfluss der Camping-Szenerie zu leben begann. „Er hat mich plötzlich viel stärker elektrisiert, er ist, man muss es so sagen, einfach geiler geworden“, sagt Janet Kirsten. Und auch Andreas Hueck findet, dass es zwar oft sinnvoll ist, alte Texte auch in ihren jeweiligen Original-Kontexten zu inszenieren, dass es hier aber ein großer Gewinn sei, die Geschichte in die Gegenwart zu hieven.

Vielleicht eben deshalb, weil „wir als Paare heute so mobil geworden sind“, sagt Simone Kabst. Fernbeziehungen, berufliche Reisen, verschiedene Freundeskreise – es gibt vieles, was Paare heute räumlich trennt. „Und wenn man sich lange nicht gesehen hat, kommen eben schnell Zweifel auf, dann braucht man die Bestätigung, dass alles noch in Ordnung ist“, sagt Simone Kabst. Und dabei reden viele dann auch noch aneinander vorbei, das sei, so zeigt der Text, vor 250 Jahren nicht anders gewesen als heute.

So wie Tellheim, der vermeintlich auf Augenhöhe mit seiner Minna sein will, sie nicht lieben kann, als sie über mehr Geld und Ansehen verfügt als er, reagieren noch heute reflexhaft viele Männer. Gut verdienende Akademikerinnen, das haben Studien gezeigt, tun sich mit am schwersten, einen Partner zu finden. Das Ego vieler Männer brauche auch heute noch ein Gegenüber, das versorgt und beschützt werden muss. Andernfalls müsste man ja einräumen, „sein ganzes Glück einem Frauenzimmer zu verdanken“, wie es bei Lessing heißt.

Und so verfällt Tellheim sofort wieder in Liebe, als Minna vorgibt, nicht nur selbst verarmt, sondern auch entehrt zu sein. Die aber ist stark genug, nach all den Verletzungen, die er ihr an den Kopf geworfen hat, etwas mehr Wahrhaftigkeit von ihm zu erwarten. Bei aller Lustspielhaftigkeit dürfte die „Minna“ des Poetenpacks deshalb auch eine mit ordentlich Wucht und Tiefsinn werden.

„Minna von Barnhelm“ hat am 17. Juli um 20 Uhr im Q-Hof, Lennéstraße 37, Premiere, das Poetenpack feiert damit gleichzeitig sein 15-jähriges Bestehen. Weitere Termine sind der 19., 24., 26. und 31. Juli sowie der 2. August

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