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Kultur: Eine Frage des Glaubens und des Nichtglaubens

Wann entstanden die vier Evangelien / arche-Vortrag von Armin Kögler im Pater-Bruns-Haus

Stand:

Frühdatierung versus Spätdatierung. Dass es sich bei der „Berechnung“ der Entstehungszeit der vier Evangelien des Neuen Testamentes nicht um ein arithmetisches Problem handelt, sondern eher um gegensätzliche theologische Ansätze, die durchaus spannend sein können, konnte beim letzten Arche-Vortrag im Pater-Bruns-Haus festgestellt werden.

Der katholische Theologe Armin Krögler erzählte, dass es zu seiner Studentenzeit in den 70er und 80er Jahren noch unumstößliche Lehrmeinung war, dass die Evangelien des Neuen Testamentes etwa von 50 bis 120 n. Ch. entstanden wären. Diese Spätdatierung, die die Entstehungszeit weit nach Jesu Leben und Kreuzestod (etwa um 30 n. Ch.) ansetzte, hätte die Zeitzeugenschaft der Berichterstatter ausgeschlossen. Die Spätdatierung wäre besonders von den liberalen protestantischen Theologen des 20. Jahrhunderts unterstützt worden, die wie Rudolf Bultmann Jesu Leben und Tod als „Mythos“ betrachteten und eine „Entmythologisierung“ des christlichen Glaubens thematisierten. Krögler verwies darauf, dass seine Recherchen ergeben hätten, dass die Theorie der Spätdatierung nicht haltbar wäre. Neue Erkenntnisse hätten gezeigt, dass die Entstehungszeit der Evangelien etwa zwischen 40 bis 59 n. Ch. anzusetzen wäre. Hierbei stützte sich die Forschung auf Verse des Markusevangeliums, die eine prophetische Ankündigung der Zerstörung Jerusalems und eine Endzeitankündigung enthielten. Die tatsächliche Zerstörung Jerusalems war erst um 70 n. Ch., worüber Josephus Flavius seinen umfangreichen Bericht „Der Jüdische Krieg“ 73 n. Ch. in aramäischer Sprache und 75 n. Ch. in griechischer Sprache schrieb.

Dieser Bericht habe in der Spätantike große Verbreitung gefunden. Dennoch wäre in keinem der vier Evangelien der „Jüdische Krieg“ erwähnt worden, obwohl er von Jesus prophezeit wurde. Diese Tatsache stützt die Annahme der Vertreter der Frühdatierung, dass die Entstehung der Evangelien vor dem Jüdischen Krieg anzusetzen wäre. Weitere Forschungen hätten ergeben, dass die Entstehungszeit des Markusevangeliums somit von 45 bis 48 n. Ch., die des Matthäusevangeliums von 50 bis 55 n. Ch., die des Lukasevangeliums von 55 bis 59 n. Ch. und die des Johannesevangeliums von 65 bis 90 n. Ch. zu vermuten wären. Das Markusevangelium und die Quelle Qu, eine nicht aufgefundene Redemitschrift der Jünger in Stenogrammform, könnten durch die Frühdatierung durchaus noch als Zeitzeugenberichte des Lebens und Wirkens Jesu verstanden werden. Beide hätten nachweislich für die Evangelien des Lukas, Matthäus und Johannes als Quelle gedient, was durch die Übereinstimmung vieler Aussagen gestützt wird. Auch der Qumranfund, der etwa auf das Jahr 40 n. Ch. zu datieren wäre und ein Fragment des Markusevangeliums darstellt, ist nachweislich in Rom entstanden.

Die Frühdatierung, die von Armin Krögler so leidenschaftlich vertreten wurde, beglaubigt die Zeitzeugenschaft der Evangelienschreiber und bezeugt den lebendigen Jesus als Gottessohn. Diese Annahme steht somit nicht nur numerisch im Gegensatz zur Spätdatierung. Viele Vertreter der Spätdatierung leugnen aus der fehlenden Nähe zum Zeitereignis auch die Gottessohnschaft und die Auferstehung Jesu. Eine theologische Auffassung, die seit der Spätantike und der Aufklärung bis in unsere Zeit immer wieder von Theologen diskutiert wird. Dass beide Ansichten getrost nebeneinander existieren können und keine ihren uneingeschränkten Wahrheitsanspruch belegen kann, war auch in der anschließenden Diskussion erfahrbar. Alles bleibt schließlich doch eine Frage des Glaubens oder des Nichtglaubens. Wie bereits seit 2000Jahren. Barbara Wiesener

Nächster arche-Vortrag heute 19.30 Uhr: Paulus von Tarsus. Der Völkerapostel und Seelsorger.

Barbara WiesenerD

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