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Von Andrea Schneider: Eine Frau und ihre 23 Männer

Harald Martenstein las in der Villa Quandt aus seinem neuen Roman „Gefühlte Nähe“

Stand:

Als er zögernd den kleinen, fast bis auf den letzten Platz gefüllten Saal der Villa Quandt betritt, ahnt noch keiner, dass dieser Harald Martenstein, Redakteur beim Tagesspiegel, Kolumnist der Zeit und seit 2007 auch Romancier, an diesem Samstag beinahe zwei Stunden lang immer noch eine Story aus dem Ärmel ziehen und nur schwer ein Ende finden wird.

Erst einmal aber wird eine private Geschichte erzählt. Von der Freundin des Literaturbürogeschäftsführers Hendrik Röder, die gelesen und für wahr befunden hatte, dass Martenstein, wie er in einer seiner Zeit-Kolumnen geschrieben hatte, ein halbes Jahr barfuß lief. Dabei war diese Geschichte nur die Parodie auf gerade Publiziertes wie „Ein halbes Jahr ohne Internet“ oder Ähnliches.

Man glaubt diesem Autor, der bereits mit etlichen Preisen ausgezeichnet wurde, eben einfach alles und Röder erhob das, was Martenstein schreibt, in seiner kurzen und humorvollen Einführung kurzerhand in den Stand der „absoluten Wahrhaftigkeit“.

Martenstein hat seinen bereits erschienenen Publikationen nun eine weitere hinzugefügt. Der Roman „Gefühlte Nähe“, der am heutigen Montag im Buchhandel erscheint, ist die Lebens- und Liebesbiografie einer Frau, die dem Leser im Buch nur als N. begegnet. 23 Männer treffen mit dieser Frau zusammen, bilden in ihren Verhältnissen zu N. archetypische Situationen des modernen Liebeslebens ab und machen das Buch zu einem Beziehungskosmos über sich Finden, Verlieben, Verlieren, Betrügen und Betrogen werden.

Wie beispielsweise der Lehrer Rühl, der den Auftakt des Männerreigens bildet und den Martenstein gekonnt gelesen in Szene setzt.

Es steht eine Klassenfahrt bevor, vor deren Verlauf es den eher ruhigen Lehrer graut. Als ein Päckchen von eben jener N., seiner Schülerin, auf dem Bett seiner Kammer liegt und diese dann später nur leicht bekleidet vor seiner Tür steht, ist die amouröse Verstrickung unabwendbar.

Im Morgenlicht betrachtet reut es den sündigen Liebhaber, er flüchtet in die Arme seiner Gelegenheitsfreundin Sybille Bär, die jedoch von N. auf deren Seite gezogen wird. Der völlig überforderte Rühl läuft buchstäblich davon, flüchtet sich in die Arme seines Direktors, beichtet und plötzlich geht alles ganz schnell. Die Ferien stehen sowieso vor der Tür, Rühl wird krankgeschrieben, nach den Ferien sind plötzlich alle an anderen Schulen und Schluss.

Was im ersten Teil der Geschichte sehr präzise und detailliert entwickelt wird, findet dann doch ein allzu schnelles Ende.

Da besticht das achte Kapitel schon mehr. Die Zeit ist vorangeschritten, N. ist eine junge Frau und trifft durch einen Sportunfall auf den Arzt Vollmann, der ein Verhältnis mit ihr beginnt. Dieser liebt ihren Humor, ihren Geist und natürlich die körperliche Komponente ihrer Beziehung. Ganz anders als Rühl allerdings plagen Vollmann keinerlei Schuldgefühle. Immer wieder befragt er sein Gewissen, aber die Tatsache eines Betrugs an seiner Ehefrau möchte ihm nicht einleuchten.

Immer wieder blitzen zwischen den Zeilen Martensteins treffsicherer Humor, bissige Ironie und die bildhaften Wortkonstruktionen auf, die auch seine Kolumnen so reizvoll machen. Darum ist die Freude groß, als er nach Ausschnitten aus „Gefühlte Nähe“ noch in ausgewählten Kolumnen über Jugendsprache, Männer im Alter, den Internationalen Frauentag oder das schwarze Loch am Alexanderplatz witzelt und seine ausgemachten Frechheiten über die aktuellen Probleme des öffentlichen Nahverkehrs in Berlin lassen einen herrlich lachen und schaudern.

Harald Martenstein: Gefühlte Nähe. Roman in 23 Paarungen, Verlag Bertelsmann, München 2010, 19,99 Euro

Andrea Schneider

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