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Kultur: Eine Fülle filigraner Stimmen Orgelsommer mit Reinhold Richter

Manchmal liegen die Tücken im Detail. Wie beim siebenten Konzert des Internationalen Orgelsommers Potsdam am Mittwochabend in der Friedenskirche, das der Mönchengladbacher Kirchenmusiker Reinhold Richter bestritt.

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Manchmal liegen die Tücken im Detail. Wie beim siebenten Konzert des Internationalen Orgelsommers Potsdam am Mittwochabend in der Friedenskirche, das der Mönchengladbacher Kirchenmusiker Reinhold Richter bestritt. Und dabei zum krönenden Abschluss eine modern angehauchte „Suite jazzique“ eines Johann Matthias Michel spielte, der laut Programmheft von 1867 bis 1950 gelebt haben soll. Doch das kann nicht stimmen, denn für diese Zeitspanne weisen renommierte Nachschlagewerke bis hin zu Wikipedia keinen diesbezüglichen Komponisten aus. Allerdings einen Namensträger, der 1962 in Stuttgart geboren und seit drei Dezennien Kirchenmusiker an der Christuskirche in Mannheim ist. Zudem unterrichtet er an der Hochschule für Kirchenmusik in Heidelberg und an der staatlichen Hochschule für Musik in Mannheim künstlerisches Orgelspiel. Außerdem ist er ein Jazzliebhaber. Die infrage stehende „Suite jazzique“ hat er 2003 geschrieben und sich dabei die „Suite gothique“ des französischen Spätromantikers Léon Boëllmann zum Vorbild genommen. Ebenso einzelne Satzüberschriften und die Verwendung einer rasanten Toccata als Finale des fünfteiligen Werkes.

Dessen interpretatorischer Sachwalter Reinhold Richter kostet die jazzigen Vergnüglichkeiten nach allen registriererischen Möglichkeiten aus, die ihm die Woehl-Orgel bietet, einschließlich der effektvollen Crescendo-Walze. Swingend und opulent, dann wieder gassenhauerisch und gebetsinnig erklingt sie. Sicherlich nicht nach jedermanns Geschmack. Dafür haben sie eingangs mit Louis-Nicolas Clérambaults „Suite du deuxieme Ton“ die Wonnen französischer Barockkunst erfahren, die ebenfalls ohne allen sakralen Ernst von ihren inneren Werten kündet.

So überrascht und begeistert der Organist bereits zu Beginn mit der Fülle filigraner Stimmen. Erhaben und dennoch leicht erklingen sie. Zwischen schnarrend und näselnd findet ein reizvolles „Duo“ prägnanter Soloregister statt, gefolgt von einem zungenstimmenweichen und feinsinnig ausgedeuteten „Trio“. Danach sorgt das Krummhornregister („Basse de Cromorne“) für sehr beweglichen Zungenklang im entsprechenden Satz, gefolgt von den weichen und tremolierenden Flötenstimmen der Orgel im Stücklein „Flûte“. Dabei imitieren zahlreiche Triller einen zwitschernden Vogelschwarm. Die abschließende „Caprice“ deutet Reinhold Richter im vollen Orgelspiel sehr konzertant und klangprächtig aus.

Wird er bei Johann Sebastian Bachs nachfolgendem Praeludium und Fuge BWV 552 den Klangkontrast suchen, indem er die schneidende Schärfe der Prinzipalstimmen ins Spiel bringt? Mitnichten. Das markante Thema des Praeludiums klingt nicht so streng wie sonst gern gespielt, sondern eher wohlgefällig, ein wenig romantisch überhaucht. Kurzum: mehr Legato als Stakkato, weniger klangasketisch als eher vollmundig. Danach folgt gleichsam als reizvoll kontrastierendes Interludium ein c-Moll-Praeludium: perlend im Diskant wie ein prickelnder Regenschauer.

Festen Schritts schreitet anschließend die dem 552-Pärchen zugehörige Fuge gravitätisch einher, spannungsreiche Erhabenheit ausstrahlend. Eine sehr überzeugende Interpretationsvariante! Flötenreich und gambensingend singt sich die „Vocalise I“ von Charles Koechlin aus, dessen eingangs erwähnte Lebensdaten fatalerweise dem Johann Matthias Michel zugerutscht sind. Peter Buske

Peter Buske

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