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Ein Handschlag, der Geschichte machte. Der neue Reichskanzler Adolf Hitler verneigt sich vor Reichspräsident Paul von Hindenburg und reicht ihm zum Abschied die Hand.

© Bundesarchiv

Kultur: „Eine Huldigung an das alte Preußen“

John Zimmermann über den „Tag von Potsdam“, der sich am heutigen Freitag zum 81. Mal jährt

Stand:

Herr Zimmermann, die Deutung des „Tags von Potsdam“, der sich am heutigen Freitag zum 81. Mal jährt, als perfekt inszenierten Volksbetrug halten Historiker mittlerweile für überholt. Teilen Sie diese Auffassung?

Der „Tag von Potsdam“ war eine Inszenierung, aber tatsächlich keine der Nationalsozialisten – das haben insbesondere die beiden Potsdamer Historiker Martin Sabrow und Thomas Wernicke eindeutig herausgearbeitet. Für mich ist er eine einzige Huldigung an das alte Preußen, nicht einmal an das kaiserliche Deutschland, sondern an das absolute Königtum eines Friedrich des Großen. Mit ihm als Vorbild wollten die deutschnationalen und nationalkonservativen Eliten auf der Massenbasis, die sie sich von Hitler versprachen, Deutschland zu neuer alter Macht führen. Das ist das Signal gewesen, das von jenem 21. März 1933 ausgehen sollte.

Der Tag ist also nicht die Legitimierung des zwölfjährigen Rechtsbruches der NS-Zeit?

Die Legitimierung des Rechtsbruches begann spätestens mit der Wahl vom 5. März 1933, bei der eine übergroße Mehrheit zwar nicht Hitler beziehungsweise seiner NSDAP ihre Stimmen gab, wohl aber die Republik abwählte. Das aufgrund dieser Wahl zusammengesetzte Parlament entmannte sich in der Folge selbst, als es dem sogenannten Ermächtigungsgesetz zustimmte, das der Regierung willkürliche Macht einräumte. Nur die sozialdemokratischen Abgeordneten hatten den Mut, dagegen zu votieren, die KPD war bereits verboten.

Welche Rolle spielte die Bevölkerung, die zu Zehntausenden dem Tag beiwohnte?

Zumindest das Gros der Schaulustigen in Potsdam – und angesichts der reichsweiten Übertragung des Ereignisses im Rundfunk nicht nur sie – war begeistert. Sie empfanden diesen sonnigen Frühjahrsbeginn 1933 größtenteils als Tag der Hoffnung, als einen Aufbruch zu besseren Zeiten in alter Größe. Das hatte viel mit den Folgen der Weltwirtschaftskrise zu tun, noch mehr allerdings mit der gesellschaftlichen Entwicklung in der Weimarer Republik. Das parlamentarische Regierungssystem ging im Jubel auf den Straßen unter.

Das Foto vom Handschlag Hitler-Hindenburg wurde mittlerweile mehrfach historisch hinterfragt.

Die Geschichte der Fotografie vom Handschlag zwischen Hindenburg und Hitler macht vor allen Dingen zweierlei deutlich: Zum einen beweist es die Wesentlichkeit freien, wissenschaftlich fundierten Hinterfragens, zum anderen die notwendige Bereitschaft der Öffentlichkeit, die entsprechenden Forschungsergebnisse auch wahr- und anzunehmen. Nur weil beides jahrzehntelang nicht vorhanden gewesen ist in Deutschland, konnte das Bild seine unheilvollen Wirkungen entfalten.

Wann und durch wen erlangte das Bild seine heute symbolträchtige Bedeutung?

Ganz offensichtlich entsprach dieses Bild der Wahrnehmung der Zeitgenossen von diesem Tag: Der junge aufstrebende Reichskanzler verneigte sich vor dem Staatsoberhaupt, dem verehrten „Helden“ des Ersten Weltkrieges. Die neue, scheinbar moderne, vorwärtsstrebende Bewegung unterstellte sich der Autorität des ehrwürdig ergrauten „Ersatzkaisers“ Hindenburg. Nach 1945 sind es dann dieselben Zeitgenossen gewesen, die eben darin eine bewusste Täuschung durch Hitler erkennen wollten, weil es zur Legende vom verführten Volk zu passen schien. Dadurch entwickelte sich das Foto geradezu zu einer Ikone der Selbstviktimisierung der Deutschen.

Wie fasste das NS-Regime den „Tag von Potsdam“ auf?

Das NS-Regime, zuvorderst sein propagandistischer Meister Goebbels, war von diesem Foto zunächst alles andere denn angetan, eben weil es von den Zeitgenossen als Unterordnung der Nationalsozialisten unter die alten Eliten wahrgenommen worden ist. Im Zentrum der Begeisterung stand Hindenburg, Hitler hatte nur eine Nebenrolle. Erst als die Bilder jubelnder Massen, über die Goebbels diesen Tag viel lieber transportieren wollte, sich nicht durchsetzen konnten, nutzte er die Chance, den „Führer“ in eine historische Perlenkette einzufädeln – von Friedrich dem Großen über Bismarck und Hindenburg bis zu Hitler.

Warum wurde der Tag dennoch zu einem machtpolitischen Erfolg für die Nazis?

Der machtpolitische Erfolg der Nationalsozialisten am „Tag von Potsdam“ lag in der Verbindung mit den alten Eliten. Dass Hitler und seine Braunhemden als politischer Akteur von diesen akzeptiert worden sind, öffnete Türen, die bis dato verschlossen oder doch wenigstens noch nicht ganz geöffnet waren. Zu Bevölkerungsgruppen, die noch zögerten oder abwarteten und teilweise auch Skrupel zeigten gegenüber der offensichtlichen Brutalität der Nationalsozialisten.

Zwei Tage nach der Potsdamer Zeremonie wurde das Ermächtigungsgesetz erlassen. Der Tag markiert also den endgültigen Untergang der Weimarer Demokratie?

Die Weimarer Republik ging unter, weil kaum jemand bereit gewesen ist, für sie zu kämpfen, und gegen die wenigen, welche den Mut fanden, mit hemmungsloser Gewalt vorgegangen werden konnte. Rechtsbrüche begleiteten sie zwar von Anfang an, doch dass die Mehrheitsbevölkerung Unrecht und nun auch Unmenschlichkeit in diesem Ausmaß hinnahm, viel zu oft sogar unterstützte, bedeutete den ersten Schritt hin zu Barbarei und Völkermord. Nicht das Ende von Weimar ist die wesentliche Erkenntnis des Jahres 1933, sondern die so rasch um sich greifende Bereitschaft allzu vieler mitzumachen bei der Entrechtung und Entwürdigung von Mitbürgerinnen und Mitbürgern, bei der Installierung einer totalitären Diktatur.

Welche Rückschlüsse lassen sich aus der historischen Deutung des Tages für den aktuellen Streit um den Wiederaufbau der Garnisonkirche ziehen?

Ich persönlich halte wenig davon, ein Gebäude mit einer über 250-jährigen Geschichte auf ein einzelnes historisches Ereignis zu reduzieren. Insofern ist der „Tag von Potsdam“ für mich weder ein Argument für noch gegen den Wiederaufbau der Garnisonkirche. Nicht Bauten sind verantwortlich für den Verlauf der Geschichte, sondern Menschen. Deswegen sollten sie sich mit der Vergangenheit möglichst offen und unvoreingenommen auseinandersetzen. Wo der Versuch, historische Ereignisse zu instrumentalisieren, hinführen kann, zeigt doch gerade auch die Legendenbildung rund um den „Tag von Potsdam“.

Das Gespräch führte Jan Kixmüller

John Zimmermann spricht am heutigen Freitag, 18 Uhr, über den „Tag von Potsdam“ in der Wissenschaftsetage im Bildungsforum, Am Kanal 47

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