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Kultur: Eine kleine Rauschkunde Peter Richter las

in der Villa Quandt

Stand:

Der Alkoholrausch ist ein wohlmöglich bedrohtes Kulturgut, worüber auch jene nicht hinwegtäuschen, die sich stets zahlreich allmorgendlich schon vor Kiosken einfinden und mit ihren Bierdosen Passanten zuprosten. Während man hier säuft, um wieder nüchtern zu werden, nippt man andernorts den ganzen Abend an einem einzigen Glas Rotwein, gibt sich als Kenner und tut beinahe so, als trinke man da gerade keinen Alkohol. Ein Unding für den Schriftsteller und Publizisten Peter Richter, der in seinem neuen Büchlein „Über das Trinken“ weder eine Lanze für den Alkoholismus brechen noch zum tröpfelnden Genusstrinken raten will. Alkoholische Getränke dürfen zwar schmecken, vor allem aber sollen sie eins: wirken! Deshalb unterbricht er am Samstagabend in der Villa Quandt seine Lesung auch kurz, auf dass sich die Gäste ihre inzwischen geleerten Weingläser wieder auffüllen können.

Peter Richter aber, während er Wein predigt, trinkt selbst nur Wasser und liest sich in Fahrt. Das Trinken habe nun mal Tradition, sei die kulturhistorische Konstante der Menschheit. Da liest Richter in recht flottem Tempo und anfangs noch mit ein paar Hängern die ersten beiden Kapitel seines Buchs, wo auch von der Gesellschaft zur Bekämpfung der Nüchternheit die Rede ist, einst von August dem Starken als Geheimbund gegründet. Kräftig wurde gezecht und friedlich geredet, auch mit dem Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I., der mit an der kreisrunden Tafel saß und der dennoch bald darauf mit seinen Langen Kerls in Sachsen einfiel. Doch sei das Prinzip, für den Frieden zu trinken, beachtlich, so Richter. Es gebe heutzutage so viele private und offizielle Anlässe zum Anstoßen, dass es kaum möglich sei, nicht zu trinken. Dennoch werde das Recht auf Rausch durch einen staatlichen Fürsorgezwang allmählich bedroht. Ein Ende der langen Geschichte des Trinkens? Immerhin – noch bis vor wenigen Jahren habe kein Mensch Nichtraucherkneipen für möglich gehalten.

Richter macht also nicht von ungefähr auf die Selbstläufer und Auswüchse der deutschen Verbotskultur aufmerksam. Doch denkt er den absurden Gedanken einer gänzlich alkoholfreien Bar nicht zu Ende, wenngleich er eine lustige Episode liest, wo überdreht feiernde Isländer, scheinbar nur von Mineralwasser berauscht, bis in die Morgenstunden tanzen. Im Stillen fragt man vielleicht nach dem Anteil an Ironie und Satire in dem Buch, vermisst man beim Autor den Brustton der Überzeugung. Und doch ist man so dankbar für den durchgängig witzigen Ton und die überspitzten Darstellungen, weiß man, dass es zwangsläufig zu Heiterkeit führen muss, nicht als Moralapostel über das Trinken zu schreiben. Grobschlächtig humorige Saufbücher gebe es schon genug, meint Richter. Seine Auseinandersetzung mit dem Alkoholrausch sei dagegen alles andere als kritiklos. Ausgerechnet den sogenannten „Idiotentest“ führt er als Beispiel an. Dort lerne man viel über sein eigenes Trinkverhalten und obendrein ein authentisch unauffälliges Gebärden bei Verkehrskontrollen. Nachsicht übt er gegenüber Zeitgenossen, die sich besinnungslos betrunken haben, wissend, das richtige Maß lässt sich nur aus einem ordentlichen Kater heraus einschätzen.

Was Peter Richter an diesem Abend auch vorliest oder frei einwirft, erntet fast immer wohlige Lachsalven, wird von leisem Gläserklirren begleitet und nach gut anderthalb Stunden mit einem lange sprudelnden Applaus belohnt. Nicht weniger amüsiert sich das Kamerateam des österreichischen Fernsehens, das bis nach Preußen gefunden hat und Richter die ganze Zeit über filmt. Schon drückt den Mann der nächste Termin. Tragisch, wenn man zwar bewusstes Betrinken beherrscht, aber vor lauter Theorievermittlung und Anleitungen, so Richter selbst, nicht mehr dazu komme, mal wieder so richtig einen zu trinken. Daniel Flügel

Daniel Flügel

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