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Kultur: Eine neue Pippi Premiere von „Wir alle für immer zusammen“

Die elfjährige Polleke (Jenny Weichert) hat Kraft, die sie sich bei ihren gläubigen Großeltern auf dem Bauernhof holt. Immer dringender wird ihr Bedürfnis, aus der Großstadt Amsterdam dorthin zu fahren, denn die Erwachsenen, die sie zu Hause erlebt, benötigen alle ihre Unterstützung.

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Die elfjährige Polleke (Jenny Weichert) hat Kraft, die sie sich bei ihren gläubigen Großeltern auf dem Bauernhof holt. Immer dringender wird ihr Bedürfnis, aus der Großstadt Amsterdam dorthin zu fahren, denn die Erwachsenen, die sie zu Hause erlebt, benötigen alle ihre Unterstützung. Kinder scheinen oft vernünftiger als die Erwachsenen.

Gestern hatte das Stück „Wir alle für immer zusammen“ des holländischen Autors Guus Kuijer in der dramatisierten Version von Philippe Besson und Andreas Steudtner in der Reithalle A Premiere. Dunkel war die Halle, nur wenig Licht drang aus dem Holzkasten, in dem sich die Schüler auf den Bänken drängten, mitbangten und auch viel lachten. Mitten unter ihnen saßen die drei Schauspieler, die insgesamt sechzehn Rollen spielten. An den Wänden waren Gedichte von Polleke, denn sie weiß jetzt schon, dass sie eine Dichterin ist. Im Gegensatz zu ihrem Vater, den sie zwar für einen Dichter hält, der es aber bisher nur zu einem einzigen Vierzeiler gebracht hat. Egal, Polleke glaubt an ihn, der schon lange nicht mehr mit ihrer Mutter zusammenlebt, sondern sich mit Dealen und immer neuen Freundinnen und dadurch neuen Halbgeschwistern für Polleke durchs Leben schlägt.

Auch die Mutter ist mehr mit sich selbst beschäftigt, sie verliebt sich sogar in Pollekes Lehrer, was dem Mädchen arg peinlich ist. Kleine Requisiten nur deuten die unterschiedlichen Rollen an, in die Anja Dreischmeier und Peter Wagner ständig schlüpfen. Er spielt den Großvater mit Pfeife und entspannter Haltung, Pollekes marokkanischen Freund Mimun mit ins Gesicht gezogener Hip-Hop-Mütze und jugendlich unsicherer Bewegung, und auch – mit Hornbrille – den Lehrer Walter, der wunderbar schmachtend an den Lippen von Pollekes Mutter hängt. Als Vater Spiek, der nichts auf die Reihe kriegt, aber immer Sprüche klopft, bedient sich Peter Wagner eines Hippie-Stirnbandes und lässig-arroganter Bewegung, doch das nützt ihm nichts, irgendwann sitzt er sogar im Gefängnis.

Anja Dreischmeier ist mit weißer Strickmütze Pollekes Freundin Caro, die den Super-unnormalen-Papa (SUP), der schwul ist und zu ihrer Entstehung seinen Samen in ein Röhrchen fließen ließ, vielleicht doch weniger gern hat als den Freund ihrer Mutter, mit dem sie zusammenlebt. Als Mutter mit Sonnenbrille lacht sie hysterisch und schreit auch schon mal die Tochter an. Als marokkanische Mutter mit Kopftuch radebrecht sie über die beginnende Sexualität der beiden Kinder, die deshalb nicht mehr zusammen sein dürfen. Das bereitet Polleke höchsten Seelenschmerz, war sie doch schon zwei Jahre mit Mimun zusammen, dessen „Scheißkultur“ ihr diese Liebe nun verbietet. Schwierig für die beiden ist auch ihre Dichterei, denn in Marokko darf das keine Frau einfach so tun, und überhaupt, Mimun ist hin und her gerissen zwischen den Forderungen seiner Eltern, die ihm schon seine marokkanische Frau ausgesucht haben, und seiner Treue zu Polleke. Am Ende ist auch er stark und bricht mit Polleke aufs Land auf.

Jenny Weichert stellt Polleke selbstbewusst, trotzig und liebenswert dar, die glaubwürdig eigenständig ist. Man nimmt ihr ab, dass sie für ihren Vater alles tut, dass ihr Stolz sie manchmal daran hindert, Mimun ihre Liebe zu gestehen, und dass es ihr enorm peinlich ist, wenn der eigene Lehrer nachts in ihrer Wohnung im rot gestreiften Pyjama umherläuft. Es scheint auf den ersten Blick ein wenig übertrieben, dass ein einziges Mädchen so viele Probleme haben muss und durch ihren positiven Charakter in der Lage ist, das gesamte Beziehungschaos zusammenzuhalten und auch noch die Stärke besitzt, Gedichte zu schreiben. Aber es funktioniert, und: über allem schwebt die Liebe. Selbst die so unperfekten Erwachsenen machen keinen Hehl aus ihrer Zuneigung zu dem Mädchen, und das ist es, was ihr Halt und Energie verleiht. So wird Polleke zu einer neuen Art von Pippi Langstrumpf, eine, die voll in die moderne Realität geworfen ist. Das frisch inszenierte Stück (Regie Philippe Besson) ist nicht nur für Kinder zu empfehlen. Diese aber dankten den Schauspielern mit begeistertem Applaus.

Lore Bardens

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