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Kultur: Eine Reise nach janz weit draußen

Sascha Hawemann brachte das Jugendstück „Tschick“ auf die Bühne der Reithalle zur Premiere

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Die Jugendlichen im Publikum verstehen die Lacher, die sich bei Worten wie „endbescheuert“, „superporno“ oder „alter Finne“ durch die Reihen der Erwachsenen ziehen, scheinbar nicht wirklich. Verwirrte Blicke huschen hin und her. Was ist daran so komisch? Ist doch alles ganz normal. Jugendsprache eben. Nur ein wenig merkwürdig, wenn man bedenkt, dass die drei Schauspieler auf der Bühne durchaus keine Jugendlichen mehr sind.

Mit „Tschick“ hatte am vergangenen Mittwoch in der Reithalle die Inszenierung des gleichnamigen „Coming-of-Age“-Romans von Wolfgang Herrndorf Premiere. Regisseur Sascha Hawemann hatte es sich zur Aufgabe gemacht, der Geschichte des Romanbestsellers gerecht zu werden.

Doch zu lang ist der Einstieg. Eher monologisiert statt gespielt bietet sich dem Zuschauer zunächst die Gelegenheit, über den tieferen Sinn des Bühnenbilds von Regina Fraas nachzudenken. Ein Podest mitten auf der Bühne, das je nach Bedarf mal Wohnung, mal Müllhalde, mal ein geklauter Lada Niva ist, umsäumt von diversen Stühlen und grauen, mit Rostflecken übersähten Umkleideschränken, Kühlschränken und Regalen. Doch das scheinbar ungeordnete Bühnenbild erweist sich im Verlaufe des Spiels als durchaus geeignet, die Geschichte mitzuerzählen. Aus der Perspektive von Protagonist Maik Klingenberg betrachtet spiegelt sich so das verwirrende Innenleben eines 14-Jährigen wunderbar auf der Bühne wider. Maik (Florian Schmidtke), der von der alkoholabhängigen Mutter und dem chronisch agressiven Vater vernachlässigt wird, ist als Langweiler verschrien und ein typischer Außenseiter. Maik, der, eben weil er so langweilig ist, nicht einmal einen Spitznamen verdient. Sein Leben verändert sich jedoch, als Andrej Tschichatschow (Eddie Irle), genannt Tschick, ein verwahrloster russischer Jugendlicher aus der Plattenbausiedlung von Berlin-Hellersdorf, in seine Klasse kommt. Tschick, der mit 14 Jahren schon eine ordentliche Alkoholfahne vor sich her trägt, ist nach Maiks Meinung entweder „immer hacke oder einfach sehr lässig“. Auf die Fragen der Lehrer antwortet er nie mit mehr als „ja“, „nein“ oder „weiß nicht“. Von seinen Klassenkameraden wird er mehr geduldet als akzeptiert. Als „der Dicke und der Russe“ nicht zur Geburtstagsfeier von Maiks geheimen Schwarm Tatjana eingeladen werden, beginnen die beiden in einem geklauten Lada eine abenteuerliche Reise mit dem Ziel Walachai, oder eben jwd, also „janz weit draußen“. Doch während sie von Eltern, Lehrern und eigentlich allen anderen stets eingebläut bekommen haben, dass alle Menschen von Grund auf schlecht seien, begegnen den beiden zwar skurrile, aber durchaus gutherzige Menschen.

Mit nur drei Schauspielern inszeniert, gerät das Treiben auf der Bühne manchmal ganz schön aus den Fugen. Der ständige Rollenwechsel gelingt sowohl Florian Schmidtke als auch Eddie Irle wirklich gut. Beide erreichen jedoch nicht die Wandelbarkeit, die Juliane Götz an den Tag legt. Mit einer Leichtigkeit wechselt sie zwischen der betrunkenen Mutter, der arroganten Tatjana, der rüpelhaften Isa von der Müllkippe und der sächselnden Krankenschwester hin und her. Florian Schmidtke versucht zwar, die bizarre Lebens- und Gefühlswelt eines Heranwachsenden darzustellen, überzeugt aber mehr mit seiner ausdrucksstarken Mimik als mit einer durchdrungenen Sprache. Der Jugendslang wirkt zu aufgesetzt, zu zwanghaft, um tatsächlich ernst genommen zu werden. Eddie Irle kommt als Tschick leider während des Stücks der russische Akzent vollkommen abhanden, der erst zum Schluss wieder auftaucht. Dafür schafft er es, Tschick und Maik für kurze Zeit sogar gleichzeitig überzeugend darzustellen. Manchmal erinnern seine Bewegungen allerdings mehr an einen wilden Tanz als an kontrollierte, zur Handlung passende Gesten.

„Tschick“ ist ein Stück, das alle Generationen zu begeistern vermag. Wolfgang Herrndorfs Vorlage wurde wunderbar umgesetzt. Und so können nicht nur die Jugendlichen im Publikum mit den beiden Helden der Geschichte mitfühlen, sondern auch die Erwachsenen, die die Zeit des Heranwachsens mit all ihren Schwierigkeiten gerade erst oder auch schon etwas länger hinter sich gebracht haben. Neben vielen lustigen Szenen bietet „Tschick“ dem Zuschauer auch die Gelegenheit nachzudenken über die Wichtigkeit der Meinung anderer, über Freundschaft oder einfach über das Leben. Ein bisschen Moral darf dabei wohl einfach nicht fehlen.

Mal von einem Lachreiz geschüttelt, mal von einer seltsamen Melancholie befallen, schwindet aber nach gut zwei Stunden selbst die Begeisterung des noch so leidenschaftlichen Zuschauers. Die Vielzahl der Erlebnisse werden nur angedeutet und abgehackt auf die Bühne gebracht und nicht wirklich greifbar. Auch das durchaus spannende Ende ist einfach zu kurz. Aber eines dürfte jedem Zuschauer nach Ende der Vorstellung bewusst sein: Begibt man sich auf die Reise in die Walachai, kann „janz weit draußen“ das liegen, was man tatsächlich sucht.

„Tschick“ ist am heutigen Freitag um 18 Uhr in der Reithalle in der Schiffbauergasse zu sehen

Chantal Willers

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