Kultur: Eine „Schubertiade“
Das Neue Kammerorchester Potsdam gibt morgen ein Sinfoniekonzert in der Friedenskirche Sanssouci
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Das Neue Kammerorchester Potsdam gibt morgen ein Sinfoniekonzert in der Friedenskirche Sanssouci Das Neue Kammerorchester Potsdam lädt morgen zu seinem vierten Sinfoniekonzert der Saison 2003/2004 in die Friedenskirche Sanssouci ein. Unter Leitung von Ud Joffe steht eine „Schubertiade“ auf dem Programm. Schubertiaden – das waren große Gesellschaftsabende im Freundeskreis junger Wiener „Literaten, Dichtern, Künstlern und Gebildeten überhaupt“, in deren Mittelpunkt Schuberts Musik stand. Viele der Werke Franz Schuberts erlebten dort ihre Uraufführung. In einem Bericht über einen solchen Abend am 15. Dezember 1826 ist zu lesen: „Die Gesellschaft ist ungeheuer ... Gahy, der herrlich mit Schubert à 4 mains (Klavier zu vier Händen) spielte, Vogl, der fast 30 herrliche Lieder sang ... Nachdem das Musizieren aus ist, wird herrlich schnabeliert und dann getanzt.“ Zugegebenermaßen kann die Schubertiade am 19. Februar 2004 nicht alles das bieten, aber doch Einiges! Der originalen Dramaturgie folgend stehen Tänze und Lieder im Mittelpunkt des ersten Teils – allerdings „mit eigenen und fremden Augen“ gesehen, d.h. bisweilen nicht in der Form, wie sie von Schubert komponiert wurden. Die sechs „Deutschen Tänze“ für Klavier zu zwei Händen vom Oktober 1824 haben Anton Webern 1932 zur Instrumentierung für Orchester angeregt. Hier bei Schuberts „Deutschen“ kündigte sich an, was Webern drei Jahre später bei Bachs Ricercar als Bearbeitungsmethode perfektionierte, die Instrumentierung als „klangliche Realisation einer Analyse“. Die Aufführung am 29.Dezember.1932 im Funkhaus Frankfurt unter Leitung von Anton Webern ist als Tondokument erhalten. Vom Duktus dieser Aufführung ist die Eröffnung der kommenden „Schubertiade“ inspiriert – Schubert mit den Augen der zweiten Wiener Schule. Der Höhepunkt des Abends verspricht die Aufführung von Orchesterliedern Franz Schuberts mit der Schweizer Mezzosopranistin Maria Riccarda Wesseling, in Potsdam seit ihrer umjubelten Darstellung der Dejanira in Händels „Hercules“ am Hans Otto Theater bestens bekannt. Orchesterlieder von Franz Schubert? Diese Frage stellen sich vermutlich viele. In der Tat hat Schubert mit der „Romanze“ aus der Schauspielmusik zu „Rosamunde“ wahrscheinlich nur ein einziges Lied selbst orchestriert. Bearbeitungen Schubertscher Lieder für Orchester und Gesang sind trotz der zum Teil berühmten Bearbeiter in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts der „reinen Lehre“ zum Opfer gefallen. Sie waren nahezu vergessen. Eine Aufsehen erregende Wiederentdeckung gelang Anne Sofie von Otter und Thomas Quasthoff zusammen mit dem Chamber Orchestra of Europe unter Claudio Abbado im legendären Pariser Konzert vom Mai 2002 – die Aufnahme dieses Konzerts wurde jüngst mit zwei „Grammies“ ausgezeichnet. Die Mezzospranistin Maria Riccarda Wesseling und das Neue Kammerorchester Potsdam bieten nun dem Potsdamer Publikum die (noch) seltene Möglichkeit, Schubert Lieder in „fremder“ Sicht von Brahms bis Britten im Konzert zu hören und sich ein eigenes Urteil zur Schubert Interpretation des 19. und 20. Jahrhunderts bilden zu können. Vervollständigt wird das Programm mit Schuberts „Fünfter“, seiner „kleinen lieblichen“ Sinfonie: ein Werk voller jugendlicher Lebensfreude, geschrieben im Alter von 19 Jahren. Der Hörer trifft hier auf Mozartsche Eleganz der Melodien gepaart mit Harmonien und Instrumentierung, die schon ganz Schubert sind – auch eine spannende Frage nach Eigenem und Fremden. Christian Seidel „Schubertiade“ des Neuen Kammerorchesters Potsdam morgen um 19.30 Uhr in der Friedenskirche Sanssouci.
Christian Seidel
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