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Kultur: Eine unendliche Geschichte

Simone Smollak las aus ihrem Buch „Ich wollte nie so werden wie meine Mutter“

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Simone Smollak las aus ihrem Buch „Ich wollte nie so werden wie meine Mutter“ „Die erste Heimat ist die Mutter – ein Gefängnis“, sagte und schrieb Heiner Müller. Dieser Satz steht auf der ersten Seite des soeben erschienenen Buches von Simone Smollak: „Ich wollte nie so werden wie meine Mutter“. Wie auch ihre vorhergehenden Bücher „Leidenschaften“ (2002) und „Ich bin meines Vaters Sohn“ (2003), wurde es beim Internetverlag Schwarzkopf & Schwarzkopf verlegt. Die Berliner Autorin stellte ihr Buch im Frauenzentrum einem ausschließlich weiblichen Publikum vor. Dass der Titel provokant ist, zeigte die Reaktion einer offensichtlich verärgerten Mutter, die ihren Protest auf das Werbeplakat an der Tür schrieb: „Ich wollte nie so werden wie meine Tochter!!!“ Von der Schwierigkeit der Mutter-Tochter-Beziehungen in ausschließlich patriarchalischen Strukturen erzählen schon die Mythen und Märchen seit Jahrtausenden. Man denke an Elektra, Rapunzel, Schneewittchen oder Aschenputtel. Besonders die Stiefmütter erhielten in den Märchen eine Stigmatisierung, die bis in die Gegenwart reicht. Unter den 20 Mutter-Tochter-Geschichten ist die jüngste der befragten Töchter 17 Jahre, die älteste 57. Keine Geschichte ist Fiktion, obwohl es wie in den Märchen gute, böse, unterwürfige, dominante, schlagende und zärtliche Mütter gibt. Die erste Geschichte ist die Biografie einer ungarischen Frau, die mit ihrem toten Zwillingsbruder auf die Welt kommt. Da ist die Mutter bereits 40 Jahre alt. Der Vorwurf, dass sie ihren Bruder im Mutterleib durch ein zu schnelles Wachstum getötet habe, wird nie ausgesprochen. Er steht zeitlebens zwischen Mutter und Tochter. Die mürrische Mutter kann das Glück, endlich ein Kind zu haben, nicht wirklich empfinden. Ein Leben lang ist sie mit sich unzufrieden, nörgelt sie die Tochter groß. Bis diese in eine Ehe mit einem deutschen Mann flieht. Die Flucht vor der Mutter gelingt nicht. Telefonate und Besuche erreichen die Tochter auch in Berlin. Die Ehe scheitert. Als sie sich mit ihrem Sohn von dem Mann trennt, gelingt auch langsam die Ablösung von der Mutter. „Ich war einmal eine Zumutung. Schuld daran war meine Mutter, die mir nie Grenzen aufzeigte“, klagt die Tochter einer 68-erin. Zu Hause, im Kinderladen und in der Waldorfschule darf sie alles. Nur nicht unökologisch essen. Mit antiautoritärem Impetus beherrscht die Mutter Mann und Tochter. Man lebt im Bauernhaus und isst Grobkörniges aus Tongefäßen. Der Vater geht. Die Tochter bleibt, bis sie volljährig ist. Dann zieht sie in einen Plattenbau und isst chemisch Durchsetztes. Aus Protest gegen die Mutter. Aber in ihren Beziehungen hält sie sich an keine Abmachungen, wie die Mutter, und trägt keine Konflikte aus. Als ein Partner sie zwingt, ihre Unverbindlichkeit endlich aufzugeben, beginnt sie, ihn zu lieben. In der nachfolgenden Diskussion wurde die Kette der sachlich erzählten Buch-Geschichten weiter gefädelt. Ganz offensichtlich eine unendliche Geschichte.Barbara Wiesener

Barbara Wiesener

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