Kultur: Einfach mal anrufen
Premiere der digitalen Telefonkomödie Mobil vom HOT im Schaufenster der Fachhochschule
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Früher, in der Zeit vor Mobiltelefonen, gaben allenfalls feurige oder kühle Blicke, die man austauschte, Auskunft über den Stand der zwischenmenschlichen Beziehungen. Nun hat uns die Technik mit dem Handy nicht nur ein schnuckeliges Kommunikationswerkzeug geschenkt, nein, es ist zu einem wahrhaftigen Messgerät unserer Gefühlswelt geworden. Die Funksignale, die zwischen den scheinbar ortlosen Seelen wandern, zeichneten eine Karte der menschlichen Leidenschaften, könnten sie sichtbar gemacht werden. Der Katalane Sergi Belbel hat diese unsichtbaren Verknüpfungen im digitalen Netz in seiner Telefonkomödie „Mobil“ wieder in den humanen Raum des Theaters zurück geschrieben. Vier Menschen, vier Handys. Jeder ist allein, aber wozu hat man sein Funktelefon? Einfach mal anrufen. Zwei Paare bilden sich. Bei Rosa und Sara ist die Sache klar. Mutter und Tochter. Und bei Claudia und Jan?
Dem jungen Tobias Rott gelang es in seiner ersten größeren Regiearbeit, das Stück mit einem spielstarken Viererensemble sehr schlüssig und auch noch kreischend komisch umzusetzen. Menschen pausenlos beim Telefonieren zu erleben, kann – das wissen wir aus den Großraumwagen der Bahn – recht eintönig sein. Rott aber hält das Tempo in schneller Szenefolge hoch. Er lässt seine Schauspieler permanent um die zweistöckig angelegte Bühne (Bühnenbild Alexandra Hahn) kreisen, und findet nebenbei damit ein starkes Bild für den Strudel der Ereignisse und Wortfetzen, dem wir tagtäglich ausgesetzt sind. Aber vor allem eignen sich die Schauspieler das Stück so an, als wären sie selbst es, die sich über ihre Handys definieren. Problemlösung per Funkverbindung, die Suche nach dem Ich auf der Mailbox.
Zuvorderst die umwerfende Anne Lebinsky, die als leicht reizbare Rosa zwischen abgöttischer Mutterliebe und vulgärem Vaterhass alle Register bedienen durfte, und die sich mit der durch die Funkdistanz völlig enthemmten Furie den ersten Szenenapplaus verdiente. Dann Rita Feldmeier, deren gelbgrellschickes Businesskostüm geschickt einen Hauch zu jung für die Figur der Claudia gewählt wurde (Kostüme Antje Sternberg). Feldmeier brauchte ein wenig, bis sie die reiche, machtbesessene Aufsteigerin zu einer solchen Vielschichtigkeit brachte, dass man Mitleid mit ihrer unglücklichen Liebe entwickelte. Ihr Bekenntnis, in schamloser Trunkenheit ins Telefon geflennt, war ihr persönlicher famoser Wendepunkt. Der gockelhafte, nichtsnutzige Dandy, den Hannes Wegener verkörperte, Typ Klapphandybesitzer, trug sein kantiges Kinn zunächst fast höher als sein Zuhälterbärtchen. Es bedurfte der fünfzigjährigen, schüchtern-verpeilten Sara – die Cornelia Schmaus sehr respektabel von einem unterschätzen, zu Pathos neigenden Mauerblümchen in eine weise, leidenschaftliche Liebhaberin des Lebens und speziell des Mannes wandelte – um seine Herzensbildung zu zeigen.
Vieles läuft anders, wenn wir per Telefonat, SMS oder Videobotschaft miteinander umgehen. Der Ton wird freier, man traut sich mehr. Beleidigung per Kurzbotschaft. Jan will von Claudia weg und hin zu Sonja. Rosa wurde von ihrem Freund verlassen und glaubt, ihr Vater wäre an allem Schuld. Auch an den Selbstmordversuchen von Mutter Sara. Ihr Telefonmonolog wird zur Befreiung, zur Revolution, wie sie sagt. „Ein Sandkorn“ zwar nur, aber eines, das auf Jan überspringt.
Erst im letzten Drittel werden aus den durch die Leere des Bühnenvordergrunds Kreisenden endlich Menschen, die sich hinter den nun geöffneten Jalousien in Räumen begegnen. Die Macht der Handys, die Kraft der ungezügelten Gefühlsausbrüche und damit verbundenen Missverständnisse scheint gebrochen. Der tragische Grund für diese Wende vom Virtuellen ins Reale – vielleicht ein wenig zu sehr ein Effekt, aber dennoch konsequent – ist ein Terroranschlag am Flughafen, den man gerade so überlebt hat. Das Ende der Spielereien, das Ende der Hysterie. Der Anfang der Wahrhaftigkeit. Die Handys wandern in die Tonne, es wird Liebe gemacht. Hannes Wegener darf seinen wohlgestalteten Körper nackig machen – ein lieb gewonnenes Visitenkärtchen mancher HOT-Inszenierungen – und ein Tanz zur spanischen Version von „I will survive“ gibt der oft zynischen, galligen und sprachlich derben Geschichte ein dieser wüsten Komödie gut stehendes Happyend.
Das Handy als Auslöser globaler Krisen? Wer auch die dunkle Dimension von Mobil sah, wie die nicht zu bremsenden Premierengäste beim Applaus, antwortet: Es kommt sehr auf die Benutzung an.
Die nächsten Vorstellungen sind am 16. und 18. November, jeweils um 19. 30 Uhr.
Matthias Hassenpflug
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