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Kultur: Einseitiger Blick auf Kafkas Werk

Das Verhältnis Franz Kafkas zur Religion ist ein sehr breites und zugleich umstrittenes Thema der Forschung. Eine Antwort auf die Frage, inwiefern das Religiöse in Kafkas Erzählwerk zum Ausdruck kommt, wollte der Berliner Theologe Kurt Anglet am Dienstagabend in der Arche mit seinem gut anderthalbstündigen Vortrag „Kafka und die Religion“ vor 20 Zuhörern geben.

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Das Verhältnis Franz Kafkas zur Religion ist ein sehr breites und zugleich umstrittenes Thema der Forschung. Eine Antwort auf die Frage, inwiefern das Religiöse in Kafkas Erzählwerk zum Ausdruck kommt, wollte der Berliner Theologe Kurt Anglet am Dienstagabend in der Arche mit seinem gut anderthalbstündigen Vortrag „Kafka und die Religion“ vor 20 Zuhörern geben. Wer zu diesem Vortrag mit der Erwartung gekommen war, dass das Kafka-Thema nur auf eine abstrakte, zudem religiös unterfütterte Ebene gehoben wird, wurde nicht enttäuscht.

Offenbar lag Anglet wenig daran, in die altbekannten wissenschaftlichen Debatten einzusteigen. In einem freundlichen Plauderton begann er zunächst mit lockeren Bemerkungen über eigene Lektüreeindrücke und über Kafkas berühmten „Brief an den Vater“. Man wisse heute, so Anglet, dass Kafka darin stark übertrieben habe. Doch verrate der Brief auch, dass er einer Familie entstammte, die ihre Religiosität nur noch formal, etwa an hohen jüdischen Feiertagen, bewahrt hatte. Auch wenn die Tagebücher reichlich darüber Aufschluss geben, wie intensiv Kafka sich später mit Glaubensfragen und insbesondere mit der (ostjüdischen) Religion beschäftigt hat, wollte Anglet ihn nicht als religiösen Menschen bezeichnen.

Ein theologischer Denker und Dichter sei Kafka also nicht gewesen, jedoch ein Künder einer ins Unheil verkehrten Heilsgeschichte, ein Zerrissener mit grausamen Visionen vor Augen. Als Beispiel nannte Anglet eine kurze Szene aus Kafkas Schloss-Roman, in der die Familie Barnabas ihre Ausgrenzung und Entrechtung erleben muss. Für ihn ist dies einer der vielen Vorausblicke Kafkas auf das Schicksal des europäischen Judentums – auf den Holocaust. Demnach hat Kafka das Kommende in Allegorien oder Sinnbildern vorweggenommen, hinter denen ein Realismus verborgen ist, der ins Albtraumhafte, ja ins Apokalyptische hineinführt, das dem Ende vorausgeht.

Seine durchaus nicht ungewöhnlich oder neuartige Lesart würzte Anglet auch durch eine Vielzahl von Walter Benjamin-Zitaten, was es nicht unbedingt leichter machte, seinem Vortrag zu folgen. Leichter und angenehmer gelang es ihm dann aber mit der Lesung seiner Interpretation des frühen, 1913 veröffentlichten Prosastücks „Kinder auf der Landstraße“ nochmals eingehend auf Kafkas angebliche Vorausbilder aufmerksam zu machen. Es sind hier Bilder von Krieg spielenden Kindern, von unwilligen Mitspielern, von Straßengräben und vorbeifahrenden Zügen. Diese Bilder weisen nicht in die Vergangenheit, sondern in eine einbrechende Nacht voraus. Für Anglet ein weiterer Beweis, dass Kafka zwar kein religiöser Schriftsteller jedoch ein Visionär gewesen ist. Hier schien reines Wunschdenken Vater solcher Gedanken zu sein.

Je länger man Anglet lauschte, umso klarer wurde, dass der freundliche, graumelierte Katholik einfach ganz wesentliche Dinge und aktuellste Ergebnisse aus der Forschung ignorierte, beispielsweise über Kafkas Judentum und Religionsinteresse, wichtige biografische Eckdaten, an denen man nicht einfach vorbeisehen kann, den einzigartigen Erzählstil, dem sich doch alles Kafkaeske erst verdankt. Es schien, dass Anglet Kafkas Texte unbedingt wie die Bibel lesen wollte. Was ja zumindest schön klang. Hier wurde nur die bekannte katholische Lesart wiederholt, die in Kafkas Werken allein Sinnbilder für Völkermord und Weltende sieht. Mehr nicht. Da wunderte es nicht, dass aus dem Publikum, bis auf eine Bemerkung, keine weiteren Reaktionen zu Anglets Vortrag kamen. Daniel Flügel

Daniel Flügel

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