Kultur: Einstudierte Hingabe an den Augenblick Die japanische Pianistin Yu Kosuge im Nikolaisaal
„Die Phantasie“, schreibt Robert Schumann, „giebt dem Virtuosen alle Mittel und Waffen in die Hand, sich sein Publikum zu erobern.“ Dazu gehörten ein fesselnder, „zum Aufhorchen spannender Anfang, Kraftstellen, anmutige italienische Melodien, reizende Zwischensätze und sanftere Ausruhplätze“.
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„Die Phantasie“, schreibt Robert Schumann, „giebt dem Virtuosen alle Mittel und Waffen in die Hand, sich sein Publikum zu erobern.“ Dazu gehörten ein fesselnder, „zum Aufhorchen spannender Anfang, Kraftstellen, anmutige italienische Melodien, reizende Zwischensätze und sanftere Ausruhplätze“. Ob die 23-jährige japanische Pianistin Yu Kosuge an diese Worte gedacht haben mag, als sie sich für ihren Foyerauftritt in der Nikolaisaal-Reihe „Stunde der Musik“ ein abwechslungsreiches, stilistisch breit gefächertes Programm mit Klavier-Fantasien quer durch die Jahrhunderte zusammenstellte?! Übrigens war das Foyer bis auf den letzten Platz besetzt, und auch im oberen Wandelgang waren die Sitzgelegenheiten rar. Was beweist, dass das Publikum Klavierabende liebt. Schiene es nicht endlich an der Zeit, wieder eine Klavierreihe ins Leben zu rufen?!
Doch zurück zu den Fantasien. Was ursprünglich aus dem Augenblick heraus entstand und nach improvisatorischem Spiel-Geschick verlangte, nahm alsbald schriftliche Gestalt an. Dennoch bleibt beim nachschöpferischen Umgang mit Fantasien selbige stets vom Klavierspieler eingefordert. Er darf/muss der Stimmung des Moments nachgeben, was allerdings nur mit einem gehörig Maß an Inspiration gelingen dürfte. Seine spielerische Aufgabe ist und bleibt die Hingabe an den Augenblick. Die junge Japanerin brauchte geraume Zeit, ihre Empfindungen mit denen der Komponisten in Einklang zu bringen, ohne dabei frei mit ihnen umzugehen.
Mit der Bach zugeschriebenen Piece in c-Moll BWV 919 wusste Yu Kosuge wenig anzufangen – sie spielte sie eilig herunter. Noch rasanter nahm sie die in a-Moll BWV 922 unter ihre flinken Finger, wobei sie den logischen Aufbau mit klarem, überaus kräftigem Anschlag betonte. Dann eilte sie vom Podium, um eilends wieder für den Dienst am nachfolgenden Komponisten zu erscheinen. So ging es bis zum Ende, was dem Abend eine gewisse Unruhe bescherte. Die präludierenden Arpeggien, die dem Adagio von Mozarts d-Moll-Fantasie KV 397 vorangehen, begriff sie als ein nachdenkliches Entree in düstere Schicksalswelten. Den Umschwung ins Kapriziöse vollzog sie abrupt. Den Schlussakkorden (aller Stücke) setzte sie stets eine pointierte Wendung mit geradezu operntheatralischem Ausrufezeichen.
Sie spielte das Stück wie einen frühen Beethoven. Noch war aber erst Haydn mit seiner capriccionahen C-Dur-Fantasie an der Reihe, dessen kecken Gestus sie federnd und elegant ausbreitete. Auch sparte sie nicht mit Pedaleinsatz, um romantische Gefühle zu beschwören. Was Beethoven aus dem Augenblick heraus empfand und in freier Form akkurat niederschrieb, teilt er in seiner H-Dur-Fantasie op. 77 auf fesselnde Weise mit. Die Pianistin schien nunmehr ihr ureigenstes Terrain gefunden zu haben. Das scheinbar planlose Umherschweifen bei der Suche von Thema und Tonart gab ihr reichlich genutzte pianistische Möglichkeiten, kraftvoll und sozusagen erhobenen Hauptes die Klanglandschaft auszuschreiten. Sie gestattete sich romantische Abschweifungen aus zunehmend pathetischem Blickwinkel.
Von hier aus war es nur ein kurzer Weg zu Franz Schuberts „Grazer“ Fantasie C-Dur, die weich getönt, gelöst und keck im Ländlerrhythmus erklang. Yu Kosuge spielte Sonnenschein, dann Abenddämmerung, verwies mit ihrer Anschlagskultur auf Kommendes: Frederic Chopins f-Moll-Fantasie op. 49. Deren heroisches Pathos deutete sie vom schwergewichtigen Trauermarsch über die Heldenattitüde bis zu romantischer Versenkung einfühlsam aus. Als Vorführstück für irrlichternde Klaviaturausflüge dienten ihr zwei Stücke von Sergej Rachmaninow.
Extreme Fingerfertigkeit ist ihr zum Abschluss mit Manuel de Fallas in spanischer Folklore schwelgender „Fantasia baetica“ (altrömischer Name für Andalusien) abverlangt. Da kann sie nach Herzenslust auf den Tasten donnern, sich der hämmernden Motorik a la Strawinskys „Le sacre“ hingeben. Das Publikum rast. Dass sie auch tastenpoetisch zu überzeugen versteht, zeigt sich in einer Granados-Zugabe. Peter Buske
Peter Buske
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