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Kultur: „Ende der Unschuld“

Filmmuseum erinnert an Frank Beyer – mit einem heute noch brisanten Film

Stand:

Farm Hall, 6. August 1945. Zehn deutsche Wissenschaftler, seit Kriegsende auf dem komfortablen englischen Landsitz interniert, erfahren vom Abwurf der ersten amerikanischen Atombombe über Hiroshima. Sie alle gehörten in Nazideutschland dem sogenannten „Uranverein“ an, jeder hat auf seine Weise an einem Atomreaktor gearbeitet. Nun wollen die alliierten Offiziere wissen, wie weit die Deutschen den Bau der Atombombe vorantreiben konnten. Vor allem aber steht die Frage nach der Mitverantwortung eines jeden Wissenschaftlers für die Folgen seiner Forschung im Raum. Gibt es eine persönliche Mitverantwortung, eine Mitschuld? Wenn ja, wer nimmt sie an?

Der zweiteilige Film „Ende der Unschuld“, der morgen im Filmmuseum zu sehen ist, erzählt keine erfundene Geschichte. Er rekonstruiert die Stationen der Arbeit deutscher Wissenschaftler am deutschen Atomprojekt seit dem Moment, in dem Otto Hahn im Dezember 1938 in Berlin erstmals einen Atomkern spaltete. Gleichzeitig zeigt er die historische Linie der Geschehnisse auf, die von der Entdeckung Hahns bis zum Bombenabwurf auf Hiroshima führt.

Die Protagonisten (unter ihnen der kürzlich verstorbene Carl Friedrich von Weizsäcker) sind – mit Ausnahme des amerikanischen Offiziers Green – Realfiguren. Einer der damals beteiligten Kernphysiker, Prof. Erich Bagge, konnte dem Filmteam sogar noch als wissenschaftlich-technischer Berater zur Seite stehen.

Angesichts aktueller Debatten um Klimawandel und Ausstieg aus der Nutzung von Atomenergie, ist der Films mit seiner vielschichtigen Thematik des Umgangs mit Atomforschung und der Instrumentalisierung von Wissenschaft durch die Politik auch mehr als 15 Jahre nach seiner Entstehung noch brisant.

Seine immense geistige Spannung bezieht er aus formaler Konzentration, der kammerspielartigen Inszenierung und der Ausstrahlung von durchweg großartigen Schauspielern. Die Besetzung verzeichnet bis in kleine, jedoch bedeutsame Episodenrollen ein großes Aufgebot deutscher Schauspieler von Rang: Jürgen Hentsch, Udo Samel, Hans Teuscher, Ulrich Mühe, Rolf Hoppe, Hanne Hiob sind nur einige der namhaften Darsteller.

„Ende der Unschuld“ (1990) ist Frank Beyers erster Film nach der Wende. 1989 wurde dem DDR-Regisseur angeboten, den Drehbuchentwurf „Die deutsche Atombombe“ des westdeutschen Autors Wolfgang Menge für den WDR zu verfilmen. Im April 1989 bekundete er sein Interesse an dem Stoff, u.a. in einem Brief an den Stellvertretenden Minister für Kultur und Leiter der HV-Film, in dem er um Arbeitsurlaub nachsuchte – noch nicht ahnend, dass die Ereignisse im Herbst 1989 derlei Briefe bald überflüssig machen würden. Ein Durchschlag des Schreibens, getippt auf einer Schreibmaschine, ist in der Sammlung des Filmmuseums Potsdam aufbewahrt. Auch das Arbeitsfoto, auf dem der Regisseur unter der Plane eines Armeefahrzeuges hindurch mit dem konzentriert in seiner Rolle verharrenden Udo Samel spricht, gehört zur Sammlung. Es wurde während der Dreharbeiten 1990 aufgenommen. Beides befindet sich im Nachlass Frank Beyers, den das Filmmuseum noch zu seinen Lebzeiten erwarb. Das ursprünglich von ihm selbst angelegte Archiv reicht zurück bis 1953, in seine Prager Studienzeit. Es enthält unterschiedliche Materialien zu seinen Filmen, aber auch zu nicht realisierten Stoffen und den Theaterarbeiten: Neben Plakaten und Fotos steckt eine Fülle verschiedenen Schriftgutes in den 150 Archivkartons. Chronologisch geordnet nach Projekten finden sich Szenarienfassungen, Arbeitsdrehbücher – viele mit handschriftlichen Anmerkungen von ihm – ebenso wie Korrespondenzen mit berühmten Künstlern, Drehpläne oder Arbeitsverträge. Hochspannende Lektüre versprechen die Arbeitstagebücher Frank Beyers, die er kontinuierlich all die Jahre führte. In 75 dicken Schulheften sind Gedanken, Beobachtungen, Ereignisse und Situationen notiert: authentische Splitter der originären Weltsicht einer Künstlerpersönlichkeit, aber auch Zeitgeschichte, an der er unmittelbar beteiligt war. Der Nachlass, eine unersetzliche Quelle für an Film- und DDR-Zeitgeschichte Interessierte, steht für die wissenschaftliche Nutzung zur Verfügung. Er zeugt von einem – trotz Behinderungen durch Film- und Arbeitsverbote – künstlerisch-produktivem Arbeitsleben, wie es das vergangene Jahrhundert für nur wenige deutsche Filmregisseure bereit hielt. Gabriele Zellmann

Anlässlich des 75. Geburtstages, den der Regisseur im Mai gefeiert hätte, zeigt das Filmmuseum am 24. Mai um 18 Uhr den 1. Teil, um 20 Uhr den 2. Teil von „Ende der Unschuld".

Gabriele Zellmann

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