Kultur: Endlich Leben im Kanal
Das Potsdamer Festival Localize hat am Wochenende mit Kunst den Stadtkanal erobert
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Wo der neu gebuddelte Stadtkanal auf Höhe der Dortustraße beginnt, da findet der Sucher ein blaues, amtlich bescheinigtes Schild mit dem kategorisch verkürzten Imperativ „Kein Trinkwasser“. Das ist von der Stadt sehr weise und vorausschauend bedacht, wie oft eilt eine Idee doch ihrem Inhalt voraus: Zum Localize-Termin am Wochenende ist nicht mal Brackwasser drin in der Tiefe! Dieselbe Sorgfaltspflicht ließen Ordnungsamt und Denkmalschutz auch gegen die ehrenamtlichen Kanalarbeiter walten: Während auf Höhe des Ladebergstegs – Patricia Pisani versah ihn mit einem rot-weißen Plastik-Überzieher – Hacke und Bagger ihre brutalen Werke verrichten mussten, wollte man die Vereinsmitglieder offenbar schonen. Sie durften nicht mal einen Nagel ins marode Gemäuer der entliehenen Durststrecke treiben. Die Potsdamerin Anja Claudia Pentrop hatte das wohl schon vorab erahnt. Ihre rotumrandeten Verbotsschilder an den Kanalmauern konnten glatt dem Rathaus entlaufen sein: „Duschen verboten“, „Surfen verboten“, „Kopfspringen verboten“, „Für Krokodile verboten“ – für unterkühlte Beamtenseelen hoffentlich auch. Ach, wer so die Ordnung liebt, dessen Herz muss man erst einmal finden!
Ein Glück nur, dass Peter Degener und seine Localizer solch peinliches Unrecht nicht davon abhalten konnte, dem totenstarren Denkmal-Kanal – „Luxus für die Stadt“ – wenigstens kurzzeitig Leben einzuhauchen, sei es auch nur mit in Beuteln gefangener Luft, die jedermann atmet, um nicht zu sterben. Für zwei Tage hieß es „Kanalarbeiten“, fluteten Künstler und Mitglieder des Localize-Kollektiv mit Performances, Installationen, Lesungen, Konzerten und mehr den Stadtkanal in Potsdams Mitte. Martina Becker demonstrierte diese Luftbeutel gleich berge- oder haufenweise, was Kleinkinder aber nicht abhielt, solche Art von Kunst respektlos in Grund und Boden zu treten. Ob das ein Exempel sein sollte? Degener jedenfalls, im Hauptberuf freier Stadtführer, glaubt selbst nicht mehr daran, dass der gesamte Kanal zu seinen Lebzeiten vollendet wird. Solange das nicht der Fall ist, gilt alle Not als Tugend: Der Verein betrachtet Potsdams dumpf riechendes Canale-Grande-Fragment ganz kategorisch als Ausgangspunkt einer Wiedergewinnung. Man will wortwörtlich Bewegung in die aus-, ein- und umgegrabenen Tiefen der Yorckstraße bringen, will Zwischennutzungsfaulheit und Trägheit im städtischen Geiste besiegen. Dazu hätten vielleicht auch ein paar Szenen aus „Don Quichotte“ gehört. Trotz durchwachsenen Wetters war die Veranstaltung sehr gut besucht. Kinder vor allem und sehr viel Jugend.
Nun, die kleine Kunstmeile mit ihren gut 300 Metern war rasch abgeschritten. Auf Höhe der Dortustraße und nahe dem blauamtlichen Trinkwasser-Schutzschild bewachten zwei hölzerne „Architektonen“ unbeschriftet und unbewacht den gepflasterten Eingang in die Tiefe. Potsdams Teppichgenie Tom Korn hat den skulpturähnlichen Konstrukten ins Hier-Sein verholfen doch als Kunst muss man diese unbeholfenen Gesellen nicht unbedingt durchlassen. Dafür war aber seine iberische Bohnensuppe sehr gefragt.
Nicht per se, sondern erst im ordnungsamtlichen Kontext war die Aktion mit den bunten Plastik-Bausteinen zu verstehen. Mit ihnen konnte jeder Mitmacher die faulsten Stellen im fugengeschützten Kanalgemäuer sichtbar markieren. Ein Aufbegehren wider den Denkmalschutz? Ach was! Über andere Objekte, wie etwa den gewaltigen Rettungsring aus fast reinem Gold oder den weißen Zeppelin von Plastique Fantastique, der trotz fehlenden Fluglärms nicht abheben durfte, wurde bereits berichtet (PNN vom 14. Juni). Mit gleichem Label, doch ohne Trink- oder Nichttrinkwasser, atmete eine Medusa in Blau auf Schönbergsche Art auf und nieder. Localize oder Vocalize? Jan Vormann zeigte mit einer raffinierten Spiegelkonstruktion, wie man treppauf aus dem Bild verschwindet und doch nicht im Wunderland ankommt, sondern nur in Yorcks Straße. Liddy Schiffknecht hielt es für richtig, Häusern inmitten ihrer Sanierung das Baugerüst zu nehmen, um dieses als Kunst anzupreisen. Antiurbane Postkarten gab es zu kaufen, auf Monitoren war zu sehen, wie mathematische Zweier- und Dreierdimensionen selbst Computer verwirren, leider war das Bildwerk von Clement Vallas ohne Erklärung nicht zu verstehen.
Kanal-Rock, Performances, Regentropfen, die auf die Planen klopften, Mitmach-Aktionen, ein Kind, das dauernd „Mama, wir wollen jetzt nach Hause“ rief – in toto ist die kurzzeitige Belebung des subkulturellen Kanalraums gelungen. Localize hat Vorschläge gemacht – Potsdam hat sie angenommen, auch wenn die ihre Sprache mehr der Kommunikation als der Poesie entlehnt war. Allmächtiges Kulturamt! Selbst im Untergrund noch gilt der Satz „So ein Nagel im Gemäuer, ist wohl keinem ganz gehäuer!“
Gerold Paul
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