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Kultur: Endlich wieder zurück auf der Bühne
Zwischen Melancholie und Leichtigkeit: Mariza huldigte dem Fado im Nikolaisaal
Stand:
Sie trägt das Haar anders. Statt eines glatten Kurzhaarschnittes ziert ihren Kopf jetzt ein Strahlenkranz aus wilden goldgelben Locken. Sie klimpert mit langen falschen Wimpern. Und sie ist groß. Groß und sehr schlank, um ihre Beine schwingt ein bodenlanges silbernes Kleid. Eigentlich ein wenig wie bei einer 70er-Jahre-Diskoqueen.
Doch am Freitagabend wird der Weltstar Mariza im ausverkauften Nikolaisaal weder Funk noch Soul singen. Ihre Profession ist der portugiesische Fado. Denn der liegt der jungen charismatischen Musikerin im Blut. 1973 als Marisa dos Reis Nunes im südostafrikanischen Mosambik geboren, siedelt sie mit ihrer Familie schon bald in das väterliche Lissabon um. Ihr Viertel ist die Mouraria, die mit ihren engen dunklen Gassen wohl zu den ärmsten Stadtgebieten Lissabons zählt. Hier, so erzählt sie ihrem Publikum, singt sie schon als Kind auf den Straßen und in der Taverna ihrer Eltern den Fado, der von unglücklicher Liebe, verzweifelter Leidenschaft und vergangenen Zeiten erzählt. Dass sie nun als professionelle und vielfach ausgezeichnete Musikerin die Bühnen der Welt bereist, verwundert sie selbst ein wenig und macht sie glücklich. Zwei Jahre Konzertpause, ein Baby und eine Hochzeit haben sie spüren lassen, wie sehr sie das Leben als Musikerin liebt. Und diese Liebe und diese Leidenschaft enthält sie den Potsdamern nicht vor.
Sie flirtet und spielt mit ihren männlichen Begleitern, die sie klassisch mit portugiesischer Gitarre, Akustikgitarre und Bass unterstützen und immer wieder ihre Fingerfertigkeit unter Beweis stellen. Weniger gebräuchlich ist das Schlagzeug und nicht nur damit beweist Mariza, dass sie zwar eine sehr traditionelle Musik interpretiert, aber auch einen eigenen Interpretationsansatz hat, der Einflüsse des Jazz einbindet und der sie von ihren Vorbildern, den Fadosängern Carlos do Carmo, Fernando Marício oder Amália Rodrigues, unterscheidet. Mariza beweist auch den nötigen Ernst und die großen Gesten, die der Fado verlangt. Trotzdem genießt sie die Übertreibung und das mimische und gestische Schauspiel. Sie fordert von ihren Musikern geschickte dramatische Pausen, die sie lange ausdehnt, um dann wieder, manchmal mit einem frechen Augenaufschlag oder einem herausfordernden Hüftschwung, mit ihrer kraftvollen Stimme in die Stücke zu tauchen, die neben der portugiesischen saudade, dieser schwermütigen Melancholie, auch Leichtigkeit und Schwung haben, wenn sie beispielsweise von den traditionellen Marktfrauen, den „Rosas da Madragoa“ singt.
Immer wieder nimmt sie die Bewegung der Musik auf und tanzt versunken mit sich selbst. Einer der Höhepunkte des Konzertes ist „Barco Negro“. Hier spielen Licht und Schatten perfekt miteinander, Lethargie und Schmerz liegen in der Stimme der Sängerin, die stakkatohafte Percussion im Hintergrund erhöht noch die Dramatik und lässt auch in dem, der das Portugiesisch nicht versteht, Bilder und Geschichten entstehen. Ähnlich intensiv auch das Lieblingsstück der jungen Frau, „Primavera“. Für das Lied über den Frühling bleibt Mariza fasst vollständig im Dunkel der ganz schlicht gehaltenen Bühne. Nur ihre hellen Locken und das intensive Glitzern ihres Kleides lassen sie erahnen und sorgen für die Intimität, die sie für das Lied braucht. Das Publikum wiederum bekommt wegen der fehlenden optischen Reize ebenfalls die Chance, auf ganz eigene Art und Weise in die Musik einzutauchen. Wer hier an Steigerung nicht mehr glaubt, irrt gewaltig. Mariza bekommt das überwiegend deutsche Publikum nicht nur dazu, eine schwierige Textzeile aus „Rosa Branca“ mitzusingen, sie legt plötzlich auch das Mikrofon beiseite und lässt ihre Stimme ganz pur den großen Saal ausfüllen, kommt von der Bühne und schüttelt der ersten Reihe die Hand, bedankt sich mit vielfachem „Muito obrigado“. So viel Engagement und Glaubwürdigkeit können und müssen mit stehenden Ovationen belohnt werden! Andrea Schneider
Andrea Schneider
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