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Kultur: Energetische Urkräfte freigesetzt Die Kammerakademie

im Nikolaisaal

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Sie lieben die Kontraste. Nicht nur beim Musizieren, sondern auch in der Programmdramaturgie. Und so stellten die Potsdamer Kammerakademie und ihr stets energiegeladener Chefdirigent Antonello Manacorda für das 3. Sinfoniekonzert am Samstag im gut besuchten Nikolaisaal Alban Bergs Violinkonzert der „Großen“ C-Dur-Sinfonie Franz Schuberts gegenüber. Auf den ersten Blick ein gewagtes Unterfangen, auf den zweiten ließen sich geheime Querverbindungen um die Endlichkeit des irdischen Daseins entdecken. Bergs Konzert ist „Dem Andenken eines Engels“ gewidmet und bezieht sich damit auf den Tod der 18-jährigen Manon Gropius, der Tochter Alma Mahlers aus ihrer Ehe mit dem Architekten Walter Gropius am 22. April 1935.

Rasend schnell, also völlig untypisch für Bergs Schaffensprozess, ging die Entstehung des Violinkonzertes vonstatten. Es ist, wie es sich für einen Vertreter der sogenannten zweiten Wiener Schule gehört, zwölftönig angelegt und von einem spätromantischen Grundzug erfüllt. Beste Voraussetzungen, heutige Hörer neugierig zu machen. Zumal mit der 25-jährigen Veronika Eberle eine Geigerin von exzellenter Spieltechnik, aufsehenerregender Ausdrucksintensität und enormer Podiumsausstrahlung sich des anspruchsvollen Werkes annimmt. Eilenden Schritts, das Stradivari-Instrument „Dragonetti“ von 1700 fest in der linken Hand haltend, durchmisst sie im schulterfreien, moosgrünen Abendkleid die kurze Wegstrecke bis zu ihrem Steharbeitsplatz. Dann setzt sie den Bogen auf die Saiten.

Nacheinander erwachen die gereihten zwölf Töne aus ihrem Schlaf, reiben sich die Augen, recken die Glieder. Dann hebt ein verträumtes Singen an, entwickelt sich zwischen Solistin und groß besetztem Orchester leidenschaftliche Erregung, die alsbald wieder kontemplative Züge annimmt. Hier wie dort vibriert Veronika Eberles Körper vor innerer Spannung. Von Anfang an bereitet ihr die Kammerakademie einen analytisch durchleuchteten Klangteppich. Gemeinsam porträtieren sie jene Manon als anmutiges, kapriziöses, besinnliches und unbeschwertes Wesen. Dann bricht atonal Unheil herein, ein geradezu klinischer Bericht von Manons Todeskampf: hart, kantig und unerbittlich. Aus einem lyrischen, zart singenden Violinsolo voller anrührender Ausdrucksintensität erwächst mit barockem Bachzitat die Verklärung der Toten zum Engel. Über deren gesamte Lebenswegstrecke hinweg ist die Solistin in den Orchesterklang eingebettet, oftmals von diesem zugedeckt. Immer wieder staunenswert, wie sich geigerische Virtuosität in ein ätherisches Lamento verwandelt.

Wie auf dem Sprung wird anschließend Franz Schuberts „Große“ C-Dur-Sinfonie in verkleinerter Besetzung musiziert. Streicher, ein lediglich doppelter Bläsersatz mit Naturtrompeten und Naturhörnern, dazu drei Posaunen verweisen auf ein historisch angestrebtes Musizieren. Straff und knackig geht es zu. Dramatik statt gemütlicher Gefälligkeit herrscht vor, Manacorda lässt Orkanstürme der Leidenschaften entfachen, messerscharf artikulieren und phrasieren, hält den Schubert-Kessel unter ständigem Hochdruck. Darin siedet, wallt und schäumt es unentwegt. Vieles wirkt dabei forciert, selbst das Gefühl wird kalkuliert – eine Deutung bewusst gegen die Tradition gesetzt. Und die setzt energetische Urkräfte frei, verweist Wiener Charme in seine Schranken. Rasender Beifall. Peter Buske

Peter Buske

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