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Sieben Saiten, die ausgelassen singen. Juliane Laake mit ihrer Bassgambe aus der Werkstatt des Kölner Instrumentenbauers Claus Derenbach.

©  Monika Schulz-Fieguth

Kultur: Entdeckung eines längst bekannten Meisters

Die Potsdamer Gambistin Juliane Laake hat ihr erstes Soloalbum mit weniger bekannten Suiten von Marin Marais veröffentlicht

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Zuerst einmal ist da Ernüchterung. Ausgerechnet Marais. Das erscheint einem dann doch eine wenig originelle Wahl für das erste Soloalbum. Nichts gegen Marin Marais, dem französischen Gambisten und Komponisten, der 1679 mit dem von Ludwig XIV. höchstpersönlich unterzeichneten Patent „joueur de viole de la musique de la Chambre“ geadelt wurde und von nun an Hof- und, im wahrsten Sinne des Wortes, Kammermusiker seiner Gnaden war. Marais gehört neben Monsieur de Sainte-Colombe und Antoine Forqueray zum unübertroffenen Dreigestirn französischer Gambenvirtuosität. Dementsprechend ist auch die Zahl mit Aufnahmen seiner Kompositionen mittlerweile nicht mehr leicht zu überschauen.

Der Blick auf die Suiten, die die Potsdamer Gambistin Juliane Laake für ihr gerade erschienenes Soloalbum „Marin Marais. Pièces de Viole oubliées & changées“ ausgewählt hat, lässt einen dann doch stutzen. Es sind nicht die bekannten Charakterstücke wie „Les voix humaines“ oder „Le Badinage“, „Le Labyrinthe“ oder „Feste champêtre“, die das musikalische Bild von Marais heute hauptsächlich prägen. Juliane Laake hat sich für die Suite in A-Dur aus dem 1. Buch der „Pièces de viole“, der Suite in G-Dur aus dem 2. und der Suite in C-Dur aus dem 3. Buch entschieden. Und es braucht einige Zeit, bis man zumindest die Suite in A-Dur in einer Einspielung von Jean-Louis Charbonnier, Paul Rousseau, Mauricio Buraglia und Pierre Trocellier findet. Was dann beim ersten Hörvergleich auffällt, ist die Frische und Leichtigkeit, verbunden mit einer wohltuenden Forschheit, mit der Juliane Laake und das Ensemble Art d’Echo ihren Marais interpretieren.

„An Marais kommt man einfach nicht vorbei“, antwortet Juliane Laake auf die Frage, warum ausgerechnet dieser Komponist. Vor allem nicht bei der ersten Soloaufnahme, fügt sie noch hinzu. Und dass ihr von Anfang klar gewesen sei, dass sie nicht das spielen würde, was so viele andere spielen. Marais hat über 700 Kompositionen hinterlassen, allein fünf Bücher umfassen seine „Pièces de viole“. Ein umfangreiches Oeuvre, das die Auswahl wahrlich nicht leicht macht. Die Entscheidung für die Suite in A-Dur fiel Juliane Laake dagegen sehr leicht.

„Mein Mann hat diese Suite in einem Konzert mit dem Gambisten Wieland Kuijken gehört und war ganz begeistert davon“, sagt Juliane Laake. Das ist mittlerweile 20 Jahre her. Vergeblich hat er in den Jahren danach nach einer Aufnahme mit dieser Suite gesucht. „Und irgendwann hat er dann in seiner Verzweiflung zu mir gesagt: Wenn du deine erste CD einspielst, bitte mit der Suite in A-Dur von Marais. Eine Art Liebesbeweis sozusagen.“

Ein Liebesbeweis, an dem nicht nur Juliane Laakes Ehemann Freude haben wird. Die neun Sätze dieser Suite strotzen vor konzentrierter Spielfreude, bieten gleichzeitig ein wunderbar differenziertes und bis in die Feinheiten ausgeglichenes Klangbild. Lichte Lebensfreude steckt in diesem Marais und Juliane Laakes Bassgambe singt sich hier ausgelassen durch die einzelnen Tänze und hat dabei nichts von dieser melancholischen Schwere, in der manch andere Gambisten auf ihrem Instrument dauertrauerschmerzhaft schwelgen. Hat man sich dann nach dem ersten Hören an diese strahlende Leichtigkeit gewöhnt, in der immer auch etwas spielerisch Höfisches mitschwingt, konzentriert sich das Ohr immer stärker auf das Miteinander der Musikerinnen. Ein herrlich-stimmiges Parlieren auf hohem Niveau, ein respektvoller, gelegentlich auch kecker Schlagabtausch von bis zu vier Instrumentalisten, die sich in diesen drei Suiten von Marais aufs Trefflichste verstehen.

Zusammen mit der Gambistin Katharina Schlegel, die 2006 beim Internationalen Bach-Abel-Wettbewerb für Viola da Gamba in Köthen mit dem ersten Preis ausgezeichnet wurde, der Lautenistin Ophira Zakai und der in Potsdam durch ihre zahlreichen Auftritte schon bekannte und für ihr so lebhaftes wie klar-differenziertes Spiel hoch geschätzten Cembalistin Sabine Erdmann hat Juliane Laake das Ensemble Art d’Echo gegründet. Ihr Programm „Träume, Tränen, Tändeleien“, das sie unter anderem den drei Großen der französischen Gambenmusik Sainte Colombe, Marais und Forqueray gewidmet haben, sorgte im vergangenen Jahr, dem Gründungsjahr von Art d’Echo, schon für entsprechende Aufmerksamkeit und wurde im Oktober sogar im Deutschlandradio gesendet. Was dieses Ensemble ausmacht – eine Klangkultur voller Farbigkeit und Witz, bei einem fast schon blinden Verständnis miteinander – ist nun für jeden auf „Marin Marais. Pièces de Viole oubliées & changées“ nachzuhören. Gleichzeitig machen die vier Musikerinnen deutlich, wie gut die französischen Gambisten, und in diesem speziellen Fall Marin Marais, in Frauenhänden aufgehoben sind. Der einzige Makel besteht allein darin, dass es kaum möglich ist, Juliane Laake und das Ensemble Art d’Echo in Potsdam auf der Bühne erleben zu können.

„Es ist schwierig in Potsdam, einen Veranstalter dafür zu gewinnen“, sagt Juliane Laake. Es scheint, dass hier bei den größeren Veranstaltern vor allem ein Künstler nur dann zählt, wenn er von außerhalb kommt. Es gibt da den Violinisten Wolfgang Hasleder, der mit seinem Ensemble „Kleine Cammer-Musik“ die Reihe „Harmonia Mundi. Musica Coelestis“ und die „Venezianische Nacht“ in Potsdam bestreitet und den Instrumentenbauer Tilman Muthesius, der seit über fünf Jahren fast jeden Monat in seinem Kammermusiksaal in Klein Glienicke Konzerte anbietet. Adressen für Alte Musik im kleinen Rahmen, die mit herausragenden Künstlern und anspruchsvollen Programmen überzeugen, gleichzeitig aber auch das Regionale im Blick behalten. Diesen Lokalpatriotismus wünscht man sich auch von anderen Veranstaltern in dieser Stadt, könnte sich so eine Vorstellung von „Marin Marais. Pièces de Viole oubliées & changées“ – gerade „Platte der Woche“ beim rbb-Kulturradio – im Foyer des Nikolaisaals bestens vorstellen.

Dieser Gedanke gefällt auch Juliane Laake. „Aber die Entscheidung liegt nicht bei mir“, sagt sie. Und das bei manchen Veranstaltern vielleicht die Angst herrscht, dass ein Publikum bei einheimischen Künstlern vielleicht zurückhaltender ist. Dem kann man nur die erfolgreichen Konzertreihen der Kammerakademie im Nikolaisaal entgegenhalten. Hinzu kommt, dass Juliane Laake in der Szene längst einen Namen hat. Sie gehörte zum Ensemble um die bekannte Gambistin Hille Perl, deren Album „In darkness let me dwell“ mit Musik von John Dowland mit dem Preis der Deutschen Schallplattenkritik ausgezeichnet wurde und spielt regelmäßig mit der Lautten Compagny, Weser-Renaissance und der Akademie für Alte Musik zusammen. In Potsdam selbst scheint das wenig zu gelten, fallen einem auch nach langem Nachdenken nur wenige Auftritte von Juliane Laake in dieser Stadt ein. Und bei diesen wenigen Auftritten war sie nicht als Solistin, sondern als Gastmusikerin unter anderem bei den Veranstaltungen von Wolfgang Hasleder zu erleben.

Wer Juliane Laake aber gern als Solistin erleben möchte, dafür aber nicht durch das halbe Land fahren will, dem sei das Konzert am kommenden Sonntag in der Katharinenkirche in Brandenburg empfohlen. Auf dem Programm für Gambe solo stehen an diesem Abend zwar keine Franzosen wie Sainte Colombe, Marais oder Forqueray, dafür aber mit Tobias Hume, Johannes Schenck und Christopher Simpson andere große Namen der Gambenliteratur. Allein die Kompositionen des alten Haudegens Tobias Hume zu hören lohnt die Reise. Ebenso die Investition in „Marin Marais. Pièces de Viole oubliées & changées“.

Wie Juliane Laake in der Suite in C-Dur die Diskantgambe singen und jubilieren lässt, ist reiner Hörgenuss. Es gibt Momente in dieser Suite, da entsteht das Gefühl, als würde dieser kernig-warme, so selbstbewusst-zarte Ton körperlich und sich wie eine Schal um den Zuhörer legen wollen. Die subtilen Momente die Zwiesprache zwischen Diskantgambe und Theorbe im „Prélude lentement“ und der Sarabande, wo die Töne im feinsten Pianissimo verhauchen, gehören zu den schönsten und berührendsten auf diesem Album. Wer bisher glaubte, in Sachen Marin Marais ist schon alles gesagt, dem sei „Marin Marais. Pièces de Viole oubliées & changées“ ans Herz gelegt. Er wird viele kleine Wunder erleben.

Das Album „Marin Marais. Pièces de Viole oubliées & changées“ ist bei Crystal Classics erschienen. Juliane Laake ist am kommenden Sonntag, dem 24. Juli, um 19.30 Uhr in der Katharinenkirche in Brandenburg mit einem Soloprogramm mit Werken unter anderem von Tobias Hume, Johannes Schenck und Christopher Simpson zu erleben. Der Eintritt kostet 5, ermäßigt 4 Euro

Dirk Becker

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