Kultur: Entdeckungsfreudig
Collegium musicum Potsdam mit Raritäten in der Friedrichskirche
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Knut lockte und alle kamen. Nein, nicht zum Berliner Eisbären, sondern in die Babelsberger Friedrichskirche, wo am Sonntag der Potsdamer Dirigent Knut Andreas und das von ihm seit knapp zehn Jahren geleitete Collegium musicum zum Sinfoniekonzert einluden. Der Andrang war riesig, kein Platz blieb unbesetzt. Bei diesem Anblick machte es schon Spaß zu musizieren. Und so stürzten sich die Amateure und Profis voller Eifer auf die zweifellos anspruchsvollen Spielaufgaben, die ihnen die ungewöhnliche Programmzusammenstellung auferlegten.
Grau in grau, passend zum regenträchtigen und nebelverhangenen Novemberwetter, zeigten sich die „Wolken“ (Nuages) in Claude Debussys erstem Stück seiner drei „Nocturnes“, mit denen das Konzert eröffnet wurde. Unter der konzentrierten Zeichengebung des Dirigenten breitete sich viel Fließendes und Klangverschwimmendes aus, wobei die Ohren nicht immer wussten, ob dabei notengetreu oder doch nur ungenau intoniert wurde. Vor allem das Zusammenspiel von ersten Geigen und Celli litt darunter. Zum „Sirenen“-Gesang (Sirènes) stellte sich zusätzlich das Junge Vokalensemble (Leitung: Gabriele Tschache) beidseitig und altarnah auf der Seitenempore im 1. „Rang“ auf. Sauber sang der Frauenchor die Vokalisen, mitunter sogar mit Stimmenschmelz und Glanz. Hinter diesem vokalen Background wollten die Musiker nicht zurückstehen und deuteten das Flirrende und Lockende, mit dem die Fabelwesen vorbeifahrende Seeleute zu betören trachteten, höchst achtbar aus.
Weitgehend homogener Klang aus beweglichen Kehlen verbreitete sich dann unter der Leitung von Gabriele Tschache in zwei harfenbegleiteten „Choralhymnen aus dem Rigveda“ von Gustav Holst (1874-1934), der längst nicht nur „Planeten“ in Klang verwandelt hatte, sondern auch den ältesten Teil von hinduistischen Schriften. Klangvoll und differenziert ertönte der Hymnus auf das Wasser, sauber und füllig in der vokalen Mittellage der Lobgesang an Vena. Solistische Wonnen verbreitete anschließend Ulrike Fabienke in Vivaldis bekanntem Oboenkonzert d-Moll RV 454, die mit virtuosem Ton in den schnellen Ecksätzen brillierte, das Largo klangschön und kantabel aussang. Wenn die Streicher in hohen Lagen ihre Töne sauber gegriffen hätten, wäre der Genuss sicherlich noch größer gewesen.
Die Rarität der „Wiener Sinfonie“ op. 110 von Paul Graener (1872-1944) setzte dem erlebnisreichen Konzert den Höhe- und Schlusspunkt. Bis zu seinem Tod häufig aufgeführt, fiel das spätromantische und melodienselige Opus nach dem zweiten Weltkrieg in völlige Vergessenheit. Bedingt zum einen durch des Komponisten politische Verstrickungen und Beziehungen zu den damaligen Machthabern, zum anderen durch die fast völlige Abkehr von tonalen und seelenerbaulichen Klängen. Avantgardistisches war angesagt, keine Rückbesinnung auf Tradiertes. Insofern glich diese Aufführung einer Wiedergutmachung an einem zu Unrecht dem musikalischen Gedächtnis Entschwundenen. Breit fließender Orchestergesang bestimmt das Geschehen, das sich immer wieder dramatisch auflockert und schließlich zu hymnischer Größe steigert. Oboen- und Flötensoli, Zitate aus des Komponisten neoklassizistischer Huldigungssuite „Die Flöte von Sanssouci“ sorgen für mannigfaltige Farbtupfer. Dem engagierten und spielfreudigen Einsatz der Musiker dankt herzlicher Beifall, in den der anwesende Sohn des Komponisten mit einstimmt.Peter Buske
Peter Buske
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