Kultur: Entschleunigt
Gamben-Consort „Concordia“ in Ovidgalerie
Stand:
„O tönet fort, ihr süßen Himmelslieder! Die Träne quillt, die Erde hat mich wieder!“ Ob Goethes Faust damit die Lachrimae-Vertonungen von John Dowland gemeint haben könnte, die ihn letztlich vorm Suizid zurückschrecken ließen!? Gut möglich, denn ihre schlichten Melodien voller leidenschaftlicher Schwermut wissen wahrlich das Gemüt zu bewegen. Tränen als natriumchlorid- und eiweißhaltige Absonderung der Glandula lacrimalis (der Tränendrüse) zu bezeichnen sind das eine, das Prosaische. Sie als Reaktionen von Schmerz, Liebeskummer, Trauer, Wut oder Melancholie, als Reflex über den Verlust einer geliebten Person oder eines reuigen Sünders zu deuten das andere, das Poetische. Mit seinen Lachrimae-Pavanen für fünf Gamben und Laute hat der in Dalkey (Grafschaft Dublin) geborene und lange Jahre am dänischen Hof von Christian IV. wirkende John Dowland (1563-1626) den Tränen (engl. Tears) entsprechenden emotional geprägten Ausdruck verliehen.
Bei einem stillen, ganz auf innere Einkehr setzenden Musikfestspiele-Konzert mit dem Gamben-Consort „Concordia“ in der voll besetzten Ovidgalerie/Neue Kammern konnte man sich den klangtröstlichen Ergießungen hingeben. Dabei machte die von Mark Levy an der Diskant-Kniegeige angeführte Spielgemeinschaft ihrem Namen alle Ehre, indem sie voller Eintracht, Einigkeit und Harmonie musizierte. Zuvörderst sieben, in Nuancen stimmungsunterschiedliche Tränen-Stücke, in denen sich Dowlands vortreffliche Satzkunst voller Schönheit und Klangfülle wunderbar entfalten konnte.
Was da scheinbar eintönig, getragen und regengrau schien (der Blick in den durchnässten Park assoziierte solches zusätzlich), erwies sich bei genauerem Hinhören als eine Fülle kleinster melodischer Figuren. Jede von ihnen wurde liebevoll ausgeführt und erhielt einen spezifischen, an ziehenden Schmerz erinnernden Ausdruck. So entstand eine gestalterische und klangliche Vielfalt aus feinsten Schattierungen, die bestach, das Hinhören schulte und gleichsam zu einer Entschleunigung der Zeit beitrug. Zwischen die Lachrimae-Modifikationen von Dowland waren entsprechende Tränen-Beiträge von modernen Tonsetzern (Gavon Bryars, Adrian Williams, John Taverner) eingeschoben, in denen die alten Melodien in modern-dissonanter Harmonik-Gewandung erscheinen, ohne je von ihrer Verinnerlichung einzubüßen. Erstaunlich, wie wenig die darmsaitenbespannten Instrumente trotz hoher Luftfeuchte des Nachstimmens bedurften. Nicht weniger überraschend der diffizile Vibratogebrauch, mit dem jegliche akademische Klangaskese vermieden war.
Geradezu beispiellos der Liedvortrag von Robin Blaze, der mit biegsamem, instrumental geführtem, weich angesetztem, glasklar klingendem, warm getöntem und ebenmäßig strömendem Countertenor dem instrumentalen Tränen-Zauber immer wieder vokale Sahnehäubchen setzte. In seinem ausdrucksbewegten Singen wurde er einfühlsam von der Knickhalslautenistin Elizabeth Kenny begleitet, die mit ihren stilkundigen Zupfereien auch dem Consort zu Klangfarbenreichtum verhalf.
Dem Beifall war leider nur mit einer Zugabe gedankt.Peter Buske
Peter Buske
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