ZUR PERSON: „Er war ein schwerer Melancholiker“
Morgen stellt Helmut Krausser sein Buch über den Komponisten Giacomo Puccini in Potsdam vor
Stand:
Herr Krausser, ganz ehrlich, was hat es für einen Erkenntniswert, zu erfahren, dass der berühmte italienische Opernkomponist Giacomo Puccini im Alter von fast 42 Jahren gleich sieben Mal hintereinander mit seiner Geliebten Corinna geschlafen haben will, wie dieser in einem Brief behauptet?
Erstens ist dieser Brief seit 60 Jahren der Forschung bekannt. Mir gehts nicht darum, durchs Schlüsselloch zu gucken. Aber tatsächlich spielte der Brief eine wichtige Rolle in Puccinis Leben. Indem er vor Freunden mit einem siebenmaligen Geschlechtsverkehr prahlte, wurde „Corinna“ zu einer Art toskanischen Männerphantasie, und die Meinung setzte sich durch, dass sie ein besonders durchtriebenes Luder sein müsse. Puccini sah sich bald enormem Druck ausgesetzt, diese „niederträchtige Kreatur“ loszuwerden. Das ist schon wichtig, oder?
Welche Frau sich hinter dem von Puccini gewählten Tarnnamen Corinna in Wirklichkeit verbarg, war lange ein Geheimnis. Man nahm an, dass es sich dabei um eine Turiner Grundschullehrerin handelte. Ihre Recherchen haben ergeben, dass es die anfangs noch minderjährige Näherin Maria Anna Coriasco war. Wie haben Sie das herausgefunden?
Ich habe viel Glück gehabt. 2006 kam ein Brief in den Handel, der eine Art Konzeptpapier Puccinis für den Abschiedsbrief an Corinna war. Darin steht unter anderem der Vorwurf, dass ihr Vater kürzlich wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses verurteilt wurde. Ich habe all jene Verurteilten herausgesucht, aus Bergen von Akten. Schließlich gab es einen klaren Beweis – denn Puccini spricht davon, dass ihre Schwester und ihr Vater ihre Machenschaften decken würden. Er spricht von den D.C.s – damit meint er Domenica Coriasco, die Schwester und Domenico Coriasco, den Vater. Die gesamte Recherche, die sich über 14 Monate hinzog, ist dokumentiert in dem Band „Die Jagd nach Corinna“.
Warum haben Sie sich überhaupt so intensiv mit dem letzten Lebensjahrzehnt dieses Komponisten beschäftigt? War es der Opernfreund in Ihnen, der mehr über Puccini wissen wollte oder hat Sie als Schriftsteller einfach nur die facettenreiche Person und das Geheimnis um Corinna gereizt?
Anfangs kannte ich nur die tragische Geschichte um den Selbstmord von Doria Manfredi, Puccinis Zimmermädchen. Ich wollte mehr wissen. Und die Ursprünge dieser Geschichte liegen eben zehn Jahre zurück. Aber das Geheimnis um Corinna aufdecken zu wollen, kam mir erst spät in den Sinn. Das wäre wohl auch zu verwegen gewesen, damals sprach ich ja noch nicht mal gut italienisch.
Hat sich durch die Recherchen und Ihre Arbeit an „Die kleinen Gärten des Maestro Puccini“ Ihr Bild von dem Komponisten Puccini geändert ?
Nein. Die Schwächen des Maestro waren der Welt hinlänglich bekannt. Ich finde ihn trotz allem sympathisch, und selbst, wenn er das größte Schwein gewesen wäre, würde das nie etwas an meiner Hochachtung für den Künstler ändern.
Hören Sie Puccinis Opern jetzt anders?
Hier und da. Es ist klar, dass zum Beispiel Corinna als Kompositionshilfe, als Inspiration gedient hat. In der literarischen Vorlage war Cio-Cio-San, die Madame Butterfly, 15 Jahre alt. Puccini lässt sie von seinen Librettisten zur 17-Jährigen umgestalten. Siebzehn war auch Corinna, als sie mit Puccini zusammenkam.
Der Großteil Ihres Dokumentarromans erzählt von der anfänglich fast naiven, dann immer bizarrer werdenden Liebesgeschichte zwischen dem Komponisten und Corinna und die damit verbundenen Probleme und Streitigkeiten. In dieser turbulenten Zeit versuchte Puccini seine Oper „Madame Butterfly“ zum Ende zu bringen, die bei ihrer Premiere am 17. Februar 1904 in der Scala in Mailand gnadenlos durchfiel. Sehen Sie da einen Zusammenhang?
Nein, es gibt keinen Zusammenhang. Ich habe im Roman den plausibelsten Grund für den Reinfall der Oper angedeutet. Der Sohn des großen Verlegers Giulio Ricordi, Tito, hatte wahrscheinlich vergessen, die so genannten Claques dafür zu bezahlen, dass sie Bravo brüllen. Wohl war man auch des Erfolges Puccinis etwas überdrüssig.
Brauchte Puccini die Ausschweifungen und den damit verbundenen häuslichen Stress, um kreativ zu sein?
Sicher nicht, er litt schwer darunter und schrieb in depressiven Momenten kaum je eine Note.
Neben Corinna haben Sie in ihrem Buch mit der Engländerin Sybil Seligman und dem Dienstmädchen Dori Manfredi zwei weitere Frauen in den Mittelpunkt gestellt, die in Puccinis Leben eine wichtige Rolle spielten. Von seiner langjährigen Lebensgefährtin und späteren Ehefrau Elvira dagegen zeichnen Sie ein weniger schmeichelhaftes Bild. War sie wirklich eine so furchtbare Person?
Ich habe mich gerade Elvira gegenüber um Objektivität bemüht. Definitiv war sie um 1909 eine furchtbare Person, vorher zeichne ich sie aber milder. Das hat mich gerade und vor allem interessiert: Warum war Puccini, der ja bis 1904 „frei“ war, mit einer solchen Person zusammen? Außerhalb ihrer Eifersuchtsanfälle war sie nicht nur erträglich, sondern auch intelligent, und wie sie selbst von sich einmal sagt, eine stets leidenschaftliche Liebhaberin. Puccini war allerdings ein extremes Gewohnheitstier.
Außerordentlicher Erfolg, außerordentlicher Reichtum und zahlreiche Frauen, Puccini wird von vielen Zeitgenossen beneidet worden sein. Eigentlich hätte er doch zufrieden sein können, doch so wie Sie ihn beschreiben, war er ein Getriebener. Warum konnte Puccini nicht glücklich sein?
Puccini war nicht besonders unglücklich, aber sehr selbstmitleidig und larmoyant. Natürlich war die Tragödie um Doria schrecklich, aber ansonsten kann man nicht sagen, dass ihn das Schicksal besonders streng geschlagen hätte. Er war ein schwerer Melancholiker und neigte dazu, sein Leiden brieflich etwas zu übertreiben. Ein typischer Mann eben, mit allen allzu menschlichen Schwächen. Künstlerisch litt er darunter, dass seine von ihm bewunderten Zeitgenossen, Richard Strauss, Debussy, Stravinski, Schönberg, ganz neue Wege einschlugen, zu denen er nicht den Mut besaß, er wollte die Liebe des Publikums nicht riskieren, und kam sich oft vor, als würde er tonale Rückzugsgefechte führen. Auch litt er unter fehlender Anerkennung. Die Kritik hat sich seinem Genie nie auch nur annähernd gewachsen gezeigt. Erst in den letzten drei Jahrzehnten wurde Puccini in seiner wahren Bedeutung erkannt.
Was liebte Puccini Ihrer Meinung nach mehr, die Frauen oder die Musik?
Was braucht man nötiger, Luft oder Wasser? Aber ich nutze die Gelegenheit, um darauf hinzuweisen, dass es in meinem Dokumentarroman, in dem wirklich sehr wenig, und dann nur Ornamentales, erfunden ist, nicht nur um die Frauengestalten in Puccinis Leben geht. Sie dienen nur der Unterteilung in eine Art Sonatenform, Allegro-Adagio-Allegro. Diese zehn Jahre im Leben Puccinis sind ein Roman gewesen, den ich nur noch niederzuschreiben brauchte.
Das Gespräch führte Dirk Becker
Helmut Krausser liest morgen, 20 Uhr, im Kunstraum aus „Die kleinen Gärten des Maestro Puccini“. Eintritt 6, erm. 5 Euro.
Helmut Krausser, Schriftsteller, Bühnenautor und Musiker, wurde 1964 in Esslingen am Neckar geboren, wuchs in München auf und lebt heute in Berlin.
Nach dem Abitur studierte Helmut Krausser in München Archäologie, Kunstgeschichte und Theaterwissenschaften.
Bevor er als Schriftsteller und Journalist sich einen Namen gemacht hatte, schlug sich Krausser ab 1989 unter anderem als Nachtwächter, Komparse und Mitglied einer Drückerkolonne durch.
Krausser hat neben Romanen wie „Die wilden Hunde von Pompeji“ und „Eros“, Gedichtbände wie „Strom“ und „Plasma“ veröffentlicht.
Neben „Der große Bargarozy“ wurde auch Kraussers Roman „Fette Welt“ von Jan Schütte mit Jürgen Vogel in der Hauptrolle verfilmt. D.B.
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