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Kultur: Erbauung mit Tiefgang im Nikolaisaal

Zeitlebens schlug sein Herz für Polen, auch in der Fremde, im französischen Exil. Nicht verwunderlich, dass es in Warschau, in der Heiligkreuzkirche ruht.

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Zeitlebens schlug sein Herz für Polen, auch in der Fremde, im französischen Exil. Nicht verwunderlich, dass es in Warschau, in der Heiligkreuzkirche ruht. Die Gebeine Fryderyk „Fréderic“ Chopins dagegen sind in Paris begraben. Ihn fast auf den Tag genau an seinem 200. Geburtstag zu ehren, hatte sich das „Klassik am Sonntag“-Konzert im Nikolaisaal vorgenommen. Die Brandenburger Symphoniker unter Michael Helmrath haben dabei den musikalischen Gratulationspart übernommen. Für’s Verbale ist Moderator Clemens Goldberg zuständig. Wer wollte seiner Feststellung widersprechen, dass der Jubilar noch immer eine Identifikationsfigur für das polnische Volk darstellt?! Schließlich ist oft genug ihr Staatsgebiet als Verfügungsmasse zwischen den Großmächten aufgeteilt worden.

Auch solche historischen Details gehören neben musikwissenschaftlichen Erörterungen in den Hinterkopf, will man den Klängen von Freiheit, glühender Leidenschaft und Überleben mehr als nur musikalische Erbauung abgewinnen. Welche Tonsetzer bei der Gratulationscour zu Worte kommen lassen, welche nicht? So blieben kompositorischen Widerhaken etwa einer Bacewicz, eines Penderecki oder Gorecki bewusst (?) ausgespart. Nationalpolnisches Kolorit steuert eingangs Stanislaw Moniuszko (1819-1872) bei, dessen Opernouvertüre zu „Halka“ spannungsgeladen und kontrastbetont zwischen lärmend und liebeshoffend musiziert wird. Es erinnert fast an ein Frage-Antwortspiel zwischen der Titelheldin und ihrem adligen Verführer: „Was wird aus mir, mit meinem Schicksal?“

Bekenntnismusik auch Chopins Klavierkonzert Nr. 2 f-Moll op. 21, entstehungschronologisch jedoch das erste. Es trägt den Konflikt des Komponisten zwischen intimen Bekenntnissen und ihrer konzertöffentlichen Zurschaustellung aus. Als Vermittlerin ist die bulgarische Pianistin Plamena Mangova verpflichtet, die den Solopart mit staunenswerter Tastengeläufigkeit, leichtfingrigem und nuanciertestem Anschlag vom Notenblatt spielt. Doch eher beiläufig blickt sie in das sicherheitsverheißende Gedruckte, während eine Umblätterin eifrig ihres Amtes waltet. Während sich das Orchester ganz dienender Zurückhaltung verpflichtet fühlt, brilliert die Tastenheroine mühelos mit raschen Läufen, virtuosen Arabesken, duftigen Koloraturen. Er spiele „zart und duftig, seine Finger scheinen von der Seite her zu gleiten, als ob alle Technik ein Glissando wäre“: was Zeitgenossen an Chopins Spiel rühmen, löst sich auch bei der 30-Jährigen in totale, wie improvisatorisch wirkende Poesie auf. Herrlich.

Den polnischen Hörkosmos erweitert Karol Szymanowski (1882-1937) mit der Konzertouvertüre op. 12, die auf frappierende Weise einer Nachahmung von Richard Straussens „Don Juan“-Tondichtung gleicht. Raffiniert instrumentiert und voller dekorativer Farbenpracht funkelnd wie ein Klimt-Gemälde zeigt es sich vor. Man produziert opulente Klänge, in denen die Ohren süffig bis wagnerpathetisch schwelgen können. Ähnlich unterhaltsam und draufgängerisch zeigt sich das Concertino für Klavier und Orchester von Wladyslaw Szpilman (1911-2000), das 1940 im Warschauer Ghetto als lebensbejahender Gegenentwurf zu Leid und Verfolgung entstand. Es swingt sich voller Anmut im Rhythmus von Gershwins „Rhapsody in blue“ aus, und Plamena Mangova kann erneut von ihrem phänomenalen Gestaltungsvermögen künden. Mit Chopins cis-Moll-Nocturne dankt sie dem enthusiastischen Beifall. Peter Buske

Peter Buske

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