zum Hauptinhalt

Kultur: Erfolg für Kowalski

Der Altus gab einen Liederabend in der Nikolaikirche

Stand:

Der Altus gab einen Liederabend in der Nikolaikirche Von Sonja Lenz Jochen Kowalski gibt einen Liederabend. Die Nikolaikirche ist voll, die Blumengeschäfte sind leer. Ein Star wird gefeiert. Die magische Aura seiner sinnlichen Altstimme und seine charismatische Bühnenpräsenz sorgen für gehobene Festtagsstimmung. Den buntesten Liederstrauß hat Kowalski mit nach Potsdam gebracht. Von Telemann, Bach und Mozart bis hin zu Glinka reicht das Programm, und en passant streift es sogar Bellini und Donizetti. Schließlich gibt es Grund zu feiern: Jochen Kowalski begeht in diesem Jahr sein 20-jähriges Bühnenjubiläum. 1983 stand er zum ersten Mal als Countertenor in Mussorgskis „Boris Godunow“ auf der Bühne der Komischen Oper Berlin. Drei Jahre später gelang ihm der internationale Durchbruch mit Händels „Belsazar“ an der Hamburgischen Staatsoper. Beiden Häusern ist er bis heute treu geblieben. Den Potsdamer Liederabend wird Kowalski demnächst in Hamburg wiederholen. Countertenöre gab es schon in der Renaissance und im Barock. Allerdings standen sie damals im Schatten von umjubelten Kastraten wie Farinelli, bei denen die Chirurgie besorgt hatte, was den Countertenören einzig durch Technik gelang. Bei den Countertenören bleibt die Kopfstimme, die ein Kind ganz selbstverständlich gebraucht, über den Stimmbruch hinaus vollständig aktiv. Mit dem wachsenden Interesse an Alter Musik und historischer Aufführungspraxis sind auch die Countertenöre wieder auferstanden. Inzwischen gibt es einen regelrechten Boom in der seltenen Stimmlage. Etwa zwanzig international gefragte Countertenöre gibt es heute weltweit. Zahlreiche junge Sänger stehen in den Startlöchern. Vor allem in England und Frankreich wundert sich niemand mehr, wenn in einem Bach-Konzert beim Alteinsatz ein Mann aufsteht. Jochen Kowalski nennt sich Altus. Damit distanziert er sich von der britischen Linie eines Alfred Deller, Paul Esswood oder James Bowman. Schließlich assoziiert man mit dem Begriff Countertenor die vibratolose Gesangstechnik, die aus der englischen Chortradition kommt und für die Kirchenmusik ideal ist. Auf der Opernbühne dagegen, wo sich Kowalski zu Hause fühlt, sind auch in der hohen Lage Dramatik, Sinnlichkeit und Leidenschaft gefragt. Das zeigt sich auch beim Liederabend. Kowalski singt nicht einfach, er durchlebt die Werke mit Ganzkörpereinsatz. Egal, ob es sich um den Abschiedsschmerz bei Mozart, Bellinis zärtliches „Mallinconia“ oder Glinkas mitreißend muntere „Adele“ handelt. Der Altus wechselt wendig zwischen Stilen, Farben und Stimmungen. Das russische Repertoire liegt ihm am Herzen. Im vergangenen Jahr hat er eine CD mit russischen Opernarien aufgenommen. Mit einem gewichtigen Programmteil feierte Kowalski Michail Glinkas 200. Geburtstag im kommenden Jahr schon einmal vor. Er stellte den „Vater der russischen Oper“ als erstaunlich vielseitigen Liedkomponisten vor. Von der urrussischen „Lerche“ führte der Streifzug über den italienischen Romanzenton in „Ich denke des Augenblicks“ bis zum launigen „Ich bin hier Inesilla“ mit spanischem Kolorit. Für Probleme sorgte die Akustik in der Nikolaikirche. Der Pianist Shelley Katz musste allzu viel Zurückhaltung üben. Auch für die Stimme war der gewaltige Kirchenhall nicht immer schmeichelhaft. Jede Intonationstrübung stand wie unter dem Vergrößerungsglas im Raum. Künstler und Publikum ließen sich nicht verdrießen. Kowalski reagierte mit einer Reihe von Programmänderungen. Shelley Katz spielte statt der quirligen „Nachtigall“-Variationen von Glinka eben ein Schubert-Impromptu. Eine Uraufführung gab es sogar: eine Mini-Arie aus einem unbekannten Pastorell von Telemann, das die Komische Oper im Januar im Ganzen aus der Taufe heben will. Weihnachtliches von Bach sang Kowalski nach einer kurzen Verneigung vor dem Altarkreuz. Am Ende des bunten Abends „kommt ein Vogel geflogen“ - direkt aus dem Richard-Tauber-Wald - und zwitschert ironisch in bayerischem Dialekt.

Sonja Lenz

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })