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Kultur: Erfrischende Normalität

Das Buch „WendeKinder“ in der Landeszentrale für Politische Bildung vorgestellt

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Das Buch „WendeKinder“ in der Landeszentrale für Politische Bildung vorgestellt Dass der neue Minister für Bildung, Jugend und Sport, Holger Rupprecht, seinen ersten Kuss im Zeltlager an der Ostsee entgegennahm, konnte das interessierte und immens große Publikum am Mittwochabend in der Landeszentrale für Politische Bildung vernehmen. Man staunte nicht schlecht über die Offenheit des Ministers, der sich aus Anlass der Veröffentlichung von „WendeKinder“ an seine eigene Jugend und an die seiner Kinder erinnert fühlte. Ganz und gar Schulminister, dozierte er dann lang und sympathisch über die Qualitäten, die ein Lehrer haben müsse, um von den Schülern ernst genommen zu werden. „Kumpelig, aber auch streng“ solle er sein, der ideale Lehrer, und dem ehemaligen Direktor des Humboldt-Gymnasiums haben solche Vorbilder Kraft und Stärke für seinen langen Weg auf der Penne gegeben. Denn er ist erst vor vier Monaten aus dem Gymnasium entlassen worden. Da hat er den eigentlichen Hauptpersonen des Abends etwas voraus. Diese nämlich drücken weiterhin die Pennälerbank, wo sie sich offensichtlich auch ganz wohl fühlen. Aufschlussreich, anrührend, naiv, abgeklärt, aber manchmal auch unfreiwillig komisch sind die Aussagen der 1989 und 1990 Geborenen, die in dem von Martina Schellhorn verantworteten Buch „Wendekinder“ porträtiert sind. Mit sechzehn Jugendlichen habe sie ausführlich, meist mehrmals, gesprochen, erklärte die Autorin, die die mündlichen Protokolle verdichtete und unter thematischen Aspekten ordnete. Zu diesen intensiven Gesprächsnotizen kommen ebensolche Fotos von Achim Sommer, von denen selbstbewusste, skeptische, lächelnde und fragende Gesichter den Betrachter anblicken. Man habe nicht repräsentativ oder gar statistisch sein wollen („das gibt es schon genug“), sondern in die Gedankenwelt derjenigen eintauchen, die zur Zeit der Wende von „ostsozialisierten“ Eltern“ in die brandenburgische Welt hineingeboren wurden, erklärte Martina Schellhorn, nachdem sie erfreut alle von ihr interviewten Wendekinder begrüßt hatte. Inwieweit diese Jugendlichen von der Ostsozialisation ihrer Eltern beeinflusst wurden, machten eingangs der Veranstaltung von zwei Schauspielern des Hans Otto Theaters vorgetragene Zitate deutlich. Marie-Luise Lukas und Niels Heuser wanderten durch den Vortragssaal, trugen die Aussagen vor und gaben sie dann als Ansichtskarte verwunderten Zuschauern weiter. Man begann schon zu lachen, als „Lea“ sprach: „Von meinen Eltern weiß ich, dass um Berlin die Mauer war“. Dass es damals „nicht so gute Autos“ gab „und wenn, dann waren sie langsam“, ließ sich „Heiko“ vernehmen. Viel wussten sie zum Zeitpunkt der Befragung nicht von der DDR-Geschichte, und meist sei sie auch „kein Thema“, wie „Martin“ präzisierte. Das war wohl schon immer so und ist ein Privileg der Jugend: junge Menschen haben ein anderes Verhältnis zur Geschichte, und alles, was länger als zehn Jahre vorbei ist, erscheint ebenso weit weg wie die Eiszeit. Dafür aber sind andere Probleme um so präsenter. Wenn z.B. Paula darüber spricht, dass sie schon häufig über den Tod nachgedacht hat, wenn Alexander sein „Glück“ definiert, das darin liegt, „mit meinen Freunden zusammen zu sein“, wenn sie unisono sagen, dass sie wegen des Berufs selbstverständlich auch woanders hingehen würden, oder wenn am Ende des Bandes vier Jugendliche inkognito über ihre Drogenerfahrungen sprechen, dann sind das die realen Themen aktueller Kids, die sich wenig von Gleichaltrigen aus dem Westen unterscheiden. Allerdings gibt es im Osten der Republik ein Phänomen, dessen Auswirkungen wesentlich stärker hier zu spüren sind. Rupprecht sprach davon, dass er von der Demographie „gewürgt“ werde, was kurzzeitig als von der Demokratie gewürgt zu verstehen, aber nicht so gemeint war. Man muss sich den Minister vorstellen, der in Bezirken wie z.B. Cottbus von Lehrern und Schülern ausgebuht wird, weil er Schulen schließen muss. Dass diese Situation von den Jugendlichen eher als normal empfunden wird, lässt auf einen gelassenen Umgang mit Realitäten schließen, in denen sie sogar Chancen wittern: für kleinere Klassen und intensiveren Unterricht. Was der Minister hoch und heilig versprach. Man wird sehen, was aus diesen Hoffnungen im Untergangsszenario wird, und kann bei soviel Realitätsnähe ebenso lächelnd und cool der Zukunft entgegenblicken wie die Jungen. Abschließend lauschten sie versonnen den Darbietungen ihrer eigenen Aussagen, die, um den Reigen des Abends zu schließen, von den beiden Schauspielern meisterhaft vorgetragen wurden. Lore Bardens

Lore Bardens

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