
© HL Böhme
"Auferstehung" am Hans Otto Theater Potsdam: Erlösung ohne Happy End
Meike Finck und Wolfgang Vogler stehen am Freitag in Tolstois "Auferstehung" auf der Bühne des Hans Otto Theaters in Potsdam.
Stand:
Potsdam - Ist es zu ertragen, dass viele fast nichts – und wenige fast alles besitzen? Ist, wer eine Umverteilung fordert, gleich ein Anarchist? Ist das Strafvollzugssystem sinnvoll – oder zerbricht es Menschen anstatt sie zu resozialisieren? Und kann eine Liebe funktionieren, in der einer glaubt, den anderen retten zu müssen? Was sich liest und anfühlt wie drängendste Fragen der Gegenwart, sind zentrale Themen in Lew Tolstois Roman „Auferstehung“, erschienen 1899. Tobias Wellemeyer hat daraus zusammen mit Remsi Al Khalisi eine Bühnenfassung geschrieben, an diesem Freitag hat das Stück – mit Meike Finck und Wolfgang Vogler in den Hauptrollen – am Hans Otto Theater Premiere.
Ein bisschen erschöpft von den Proben, aber voller Liebe zu ihren Figuren erzählen die beiden Schauspieler von Tolstois Geschichte, vom reichen Fürsten Nechljudow, Mitte 30, der überlegt zu heiraten, aber eigentlich nicht so recht will. Als er jünger war, hat er von Gerechtigkeit geträumt, ein Stück Land an die Bauern verschenkt, revolutionäre Theorien gelesen. Jetzt aber lebt er weiter ein mehr als angenehmes Leben. Gelegentlich sitzt er als Geschworener Gerichtsverhandlungen bei, so auch in den Tagen, nachdem seine Mutter gestorben ist und er ihr Erbe antreten soll. Dort erkennt er in der Hauptangeklagten eines Mordfalls, einer Prostituierten, seine Jugendliebe Katharina Maslowa wieder. Er hat sie, die Tochter eines Dienstmädchens, damals einfach sitzen gelassen und lange nicht mehr an sie gedacht. Als er sie da auf der Anklagebank sieht, reißt sein Gewissen auf wie ein Abgrund: Er, glaubt er, nur er allein sei dafür verantwortlich, dass sie heute hier steht, dass ihr Leben so verpfuscht ist. Und er beschließt, sie zu retten.
Katharina Maslowa ist nicht sentimental
Die große Frage ist dabei natürlich: Was stellt der sich vor? Was für eine Beziehung sollte das sein? Liebt er sie noch – oder will er nur sich selbst befreien, von seiner Schuld, seinem schlechten Gewissen, der Leere, die er im Leben empfindet? „Das wirft sie ihm ja auch vor“, sagt Wolfgang Vogler. Er nutzt all seine Beziehungen, um sie im Gefängnis besuchen zu können, um ein Gnadengesuch durchzuboxen. „Es scheitert aber schon, als er auf ihren Stolz trifft, auf einen Menschen, der das gar nicht will, der an einem ganz anderen Punkt in seinem Leben angekommen ist“, sagt Vogler.
Maslowa trauert nichts hinterher. Ob das eine Stärke von ihr ist – da ist sich Meike Finck nicht sicher. „Die wurde ja, egal in welcher Anstellung sie war, immer spätestens innerhalb der ersten Woche vergewaltigt – und sie hat eben gelernt, dass sie aus der Wirkung, die sie auf Männer hat, auch Kapital schlagen kann. Sie ist nicht sentimental.“ Tatsächlich hat diese Maslowa fast alles durch, was einem als Frau so Übles passieren kann: Das Kind, das sie von Nechljudow bekam, steckten die wohlhabenden Frauen, bei denen sie aufwuchs, sofort in ein Waisenhaus, wo es nach wenigen Tagen starb. Sie wurde entlassen, missbraucht und zuletzt eben zu Unrecht des Mordes an einem Freier angeklagt. Trotzdem setzt sie nicht auf Nechljudow, der sie heiraten, sie aus den erbärmlichen Haftbedingungen befreien will. Sie will auch keine Entschuldigung von ihm.
Ist Nechljudow einfach ein besserer Mensch als sie?
„Sie spürt instinktiv, dass es ein Machtgefälle zwischen ihnen gäbe, wenn er ihr hilft – und sie will sich nicht mehr unterordnen“, sagt Meike Finck. Vielleicht sei es der größere Liebesdienst, zu erkennen, dass es nicht funktionieren würde. Dafür, das merkt man, schätzt sie diese Maslowa. Etwas anderes aber ist ihr nicht leichtgefallen: sich in den Stolz, den viele Prostituierte – nicht die, die gezwungen werden natürlich, die anderen, die den Job als große Freiheit empfinden – hineinzudenken.
Und dann ist da noch die Frage, was Nechljudow antreibt, dass er sich seiner Verantwortung plötzlich nicht mehr entziehen kann. Dass er, als er einmal anfängt, hinzusehen – auf das Schicksal seiner früheren Liebe, aber auch das der politischen Gefangenen, der Flüchtlinge, die eingesperrt sind, weil sie keinen Pass vorweisen konnten, auf die Zustände in den Gefängnissen, die Schlampigkeit in den Gerichtsverfahren – nicht mehr wegsehen kann. Und anfängt, sein Leben radikal zu ändern. Er verschenkt einen Großteil seines Grundbesitzes an die Bauern, reist Maslowa hinterher ins Straflager, setzt sich für ihre Mitgefangenen ein – und stößt natürlich bei seinen adligen Freunden bestenfalls auf amüsierte Milde, meist aber auf ehrliches Unverständnis. Ist Nechljudow einfach ein besserer Mensch als sie? „Tolstoi hinterfragt ja auch – mit dem Verweis auf Darwin –, inwieweit wir genetisch geprägt sind oder eben durch unser soziales Umfeld“, sagt Wolfgang Vogler. Er sieht es so: „Als Nechljudow Maslowa wiedertrifft, lebt er in einem starken Gefühl der Fremdbestimmung, er fühlt, obwohl es ihm wahnsinnig gut geht, dass er weit weg ist von dem, was er früher wollte.“ Deshalb ist es auch egal, dass sie ihn gar nicht erkennt und er sich still wieder aus der Verantwortung und ihrem Leben stehlen könnte. „Für ihn ist es nicht etwas Peinigendes, als das man Schuld ja oft empfindet, als vielmehr eine Erweckung.“ Denn es ist ja Größe, sich vergeben zu können.
Biografische Parallelen zu Tolstoi
Und diese Größe beschränkt sich nicht nur auf sein Verhältnis zu seiner Jugendliebe. Ganz klar gibt es zwischen Nechljudow und Tolstoi auch biografische Parallelen, auch Tolstois Sinnsuche bestand unter anderem darin, sich für politisch und religiös Verfolgte einzusetzen oder für bessere Lebensbedingungen der Leibeigenen auf seinem Landgut.
Das eigentlich Deprimierende an Tolstois Werk ist deshalb, dass so viele der Fragen, die er aufwirft, noch immer aktuell sind. „Der Probenbeginn fiel mit dem Weltwirtschaftsforum in Davos zusammen, kurz zuvor erschien die Oxfam-Studie, nach der ein Prozent der Weltbevölkerung mehr besitzt als die 99 anderen Prozent zusammen“, sagt Vogler. Noch immer haben Kinder – auch in Deutschland – aus ärmeren Familien nicht die gleichen Bildungschancen. „Die EU finanziert Gefängnisse in der Ukraine, damit die Menschen gar nicht erst zu uns kommen – ich fühle mich bei dem Stück an sehr viele aktuelle Dinge erinnert“, sagt Vogler noch, bevor er geht.
„Auferstehung“ hat am Freitag, dem 27. März um 19.30 Uhr im Hans Otto Theater, Schiffbauergasse, Premiere.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: