Kultur: Erotische Kapricen
Moritz Führmann als Hochstapler Felix Krull im Garten der Sedemunds
Stand:
Mit einer gutbarocken Einführungsrede des Schauspielers Hans-Jochen Röhrig an das „vielgebildete, liebenswerte, überaus gediegene“ Publikum begann am Sonntagnachmittag eine weitere Auflage der sehr beliebten Urania-Veranstaltung „Im Garten vorgelesen“. Schon zum „Tag der offenen Gärten“ war das höchst gepflegte Anwesen des Rechtsanwaltes Jochen Sedemund in der Mangerstraße zu bewundern. 1885 von einer Generalswitwe erbaut, zu Ostzeiten total verkommen, hätte man statt der originalgetreuen Rekonstruktion glatt einen Neubau finanzieren können, sagte der Hausherr. Nun kriege ihn hier, an der Seite seiner charmanten Gattin, keiner mehr weg, und man versteht“s.
Die weiße Villa am See im italienisierenden Stil, der Garten etwas mehr englisch als nur französisch, guter Rasen, dezenter Uferbewuchs, viele Rosen, die Leidenschaft des tätigen Pensionärs. Ein „Rosengarten“, wie angekündigt, ist er trotzdem nicht, es ist der Garten von Sedemunds.
Die hochwohllöbliche und sehr vergnügliche Rede Röhrigs bezog sich auf den kunstvollen Stil von Thomas Mann, aus dessen Fragment vom „Hochstapler Felix Krull“ jener Part gelesen wurde, welcher seine flüchtige, aber folgenreiche Amour mit der so reichen wie liebestollen Madame Houpflé in einem Bett des Pariser Hotels „Saint James and Albany“ schildert, wo er soeben den Dienst als Liftboy antrat. Dem Autor gefiel es, ihr auf der Hinfahrt wertvollen Schmuck durch diesen polyglotten Beau stehlen zu lassen, um beider Wege hier noch einmal zu kreuzen. Die stinkreiche Frau eines Klosettbecken-Fabrikanten ermöglicht dem ausgebufften Schlawiner durch ihre erotischen Kapricen sogar erst sein weiteres Leben. Als er ihr lediglich den Pelz von den Schultern nahm, hauchte die schriftstellernde Nymphomanin schon „Du entkleidest mich, kühner Knecht!“, später oder „danach“ ermunterte die um zwanzig Jahre ältere Dame den schönen Nackten, sie nach Belieben zu beklauen – mit ihrem Ehetrottel würde sie schon fertig werden.
Schauspieler Moritz Führmann, mit Bratenrock und Vatermörder ganz unauffällig an Max Raabe erinnernd, las diesen Text nicht eben billig, er gestaltete ihn mit so viel Geschick, dass man die komplizierten Satzperioden Manns überhaupt nicht wahrnahm. Jede Person bekam eine eigene Stimme, der erste den Sprachfehler „S“, der zweite Schwyzzerdialekt, ein dritter kroatischen Slang, und alles wusste Führmann so wunderbar lebendig zusammenzufügen, dass man nicht einmal das Ausbleiben der Veranstaltungspause bemerkte, obwohl sie sich hätte einbauen lassen. Die vorgetragene Dreisprachigkeit des Filous war dem Publikum eine besondere Wonne, Chapeau, Herr Führmann, das lebte, das liebte, das litt!
Der musikalische Teil fiel diesmal etwas spärlich aus. Wer die Potsdamer Akkordeonistin Cathrin Pfeiffer jemals gehört hat, dem musste die eher begleitende Haltung wohlmöglich enttäuschen, aber wer weiß, vielleicht war das bei der Reprise am frühen Abend schon anders, wo der kühne Knecht mit seinen „Hermesbeinen“ noch einmal „ranmusste“.
Gerold Paul
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: