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Von Dirk Becker: Erst reden, dann lesen
Der gelungene Auftakt des „Literarischen Salons“ in der Reithalle A
Stand:
Begeisterung und Ratlosigkeit liegen in Sachen Literatur oft so dicht beieinander. Was den einen zu Lobeshymnen hinreißen lässt, kann bei einem anderen nur Kopfschütteln hervorrufen. Mit dem Geschmack ist das ja immer so eine Sache. Urteilen sollte man über diesen nicht, streiten lässt es sich darüber aber trefflich. Zu erleben war das am Sonntagabend in der Reithalle A bei der Auftaktveranstaltung des ersten „Literarischen Salons“. Zusammen mit dem Hans Otto Theater hatte Oliver Geldener, Chefredakteur von Potsdam TV, zum Gespräch über vier Neuerscheinungen auf dem kaum noch zu überschauenden Büchermarkt eingeladen. Mit ihm auf der Bühne saßen Potsdams Oberbürgermeister Jann Jakobs, Obelisk-Kabarettistin Gretel Schulze und der Buchhändler Carsten Wist. Besprochen wurden Andreas Eschbachs „Ein König für Deutschland“, Natan Dubowiziks „Nahe Null“, Philip Roths „Die Demütigung“ und, um das nötige Öl ins Diskussionsfeuer zu gießen, Helene Hegemanns „Axolotl Roadkill“.
Oliver Geldener hatte diesen Debütroman der bei Erscheinung noch 17-jährigen Hegemann als seine Empfehlung für den „Literarischen Salon“ deklariert, wohl wissend, dass mit diesem Buch immer noch Stimmung zu machen ist. Anfangs als literarische Sensation eines Junggenies gefeiert, wurde „Axolotl Roadkill“ dann in Folge der zahlreichen Plagiatsvorwürfen heftig zerrissen und wochenlang immer wieder als bunte Sau durch jedes noch so spinnerte Feuilletondebattendorf gejagt. Wie ermüdend und lächerlich war doch das Geschrei um dieses schmale Buch, wie erfrischend unbefangen und amüsant nun die Debatte darüber im „Literarischen Salon“.
„Ach nööööö“, war die Antwort von Gretel Schulze auf Geldeners Frage, wie ihre Meinung über „Axolotl Roadkill“ ausgefallen sei. Sie wollte nicht, zierte sich herrlich, um sich dann doch noch zu äußern und sich dabei um eine klare Aussage zu winden wie ein Aal. „Wat soll ick dazu sagen“, fragte sie keck und lächelte ein feines Lächeln, das keiner weiteren Erklärung bedurfte. Was Geldner einen einzigen „oralen Exzess“ nannte, für Carsten Wist große Literatur ist, war für Gretel Schulze ein Buch mit einer überdimensionierten und überintellektualisierten Sprache, das sie nicht erreicht habe, geschrieben von einer jungen, intelligenten und raffinierten Autorin, der alle auf den Leim gegangen seien. Und auch die herzlich-hartnäckigen Versuche von Oliver Geldener, sie doch noch zu einem endgültigen Urteil zu bewegen, ließ sie höflich an sich abperlen. „Ja doch, das war schon eine Erfahrung “, war das letzte Statement von Gretel Schulze zu ihrer Leseerfahrung mit „Axolotl Roadkill“. Auch Jann Jakobs gab sich ratlos und fragte in die Runde, was denn wohl die Botschaft dieses Buches sei, außer dass der Heldin dringend eine psychologische Behandlung zu empfehlen ist.
Das war das angenehm Überraschende an diesem ersten „Literarischen Salon“. Hier wurden keine pseudogermanistischen Diskussionen geführt, keine vergeistigten Meinungsmonologe abgehalten, die dem Zuhörer nur Kopfschmerzen bescheren. Gute Literatur ist die, die gefällt – nach diesem Kriterium wurde auf der Bühne gesprochen und gestritten, gelobt und verrissen. Und die zahlreichen Gäste hatten ihren Spaß daran.
Angenehm an diesem Abend war auch der Auftritt von Jann Jakobs. Vermutete man anfangs noch, dass hier der Oberbürgermeister nur in Hinblick auf die Wahlen im Herbst einen öffentlichkeitswirksamen Auftritt nutzen wollte. Hielt man seine Äußerung, dass im Urlaub immer das schwerste Gepäck die Büchertasche sei, zuerst nur für eine der Situation angepasste Standardfloskel, spürte man doch sehr schnell, dass da wirklich einer sprach, der gern liest. Und so, wie sich Jakobs immer wieder in die Diskussionen einmischte, sei es nun zu den allgemeinen Lobeshymnen für Philip Roths „Die Demütigung“ und Natan Dubowiziks „Nahe Null“, wurde klar, dass hier einer, trotz seines ausgefüllten Terminkalenders, alle vier Bücher genau gelesen hatte.
Einen Eindruck in die diskutierten Werke gaben die HOT-Schauspieler Nele Jung und Michael Schrodt mit kurzen Lesungen aus den Büchern, wobei hier vor allem Schrodt überzeugen konnte.
Und wie Gretel Schulze schon mit ihrer unkonventionellen Art bei der erfrischend-augenzwinkernde Hegemann-Debatte überzeugen konnte, gelang ihr das noch stärker mit ihrer Lobeshymne auf Natan Dubowiziks „Nahe Null“, einen absurden Roman über die Zustände im Russland heutiger Zeit. Ihrer Begeisterung für dieses Buch ließ sie hier freien Lauf, ein ganz persönliches Bekenntnis, wie es ansteckender kaum sein kann. Auch Carsten Wists Empfehlung für Philip Roth ein Statement eines beim Lesen Beglückten. Vielleicht wurde an diesem Abend etwas zu oft von „großer Literatur“ gesprochen. Aber der Auftakt vom „Literarischen Salon“ hätte kaum besser verlaufen können. Allzu oft bleibt nach solchen Literaturveranstaltungen das Gefühl, Bücher lieber zu lesen als darüber zu reden. Das bestens aufgelegte Quartett am Sonntag in der Reithalle A aber hat gezeigt, dass es auch anders sein kann.
Dirk Becker
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